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BERGENGRUEN, Werner


Engel, lass mich nicht allein


Engel, lass mich nicht allein,

wenn die letzte Nacht sich rötet.

Dass den Tod das Leben tötet,

präge jeder Ader ein.

Engel, lass mich nicht allein.


Lass mich, Engel, nicht allein,

wenn die letzten Wasser springen,

bis an Kinn und Lippen dringen,

wandle sie in Hochzeitswein.

Engel, lass mich nicht allein.


Lass mich, Engel, nicht allein;

alle Freunde sind im Weiten,

keiner kann mich mehr begleiten,

du, nur du darfst bei mir sein:

Engel, lass mich nicht allein.


Die letzte Epiphanie


Ich hatte dies Land in mein Herz genommen,

ich habe ihm Boten um Boten gesandt.

In vielen Gestalten bin ich gekommen.

Ihr aber habt mich in keiner erkannt.


Ich klopfte bei Nacht, ein bleicher Hebräer,

ein Flüchtling, gejagt, mit zerrissenen Schuhn.

Ihr riefet dem Schergen, ihr winktet dem Späher

und meintet noch Gott einen Dienst zu tun.


Ich kam als zitternde, geistgeschwächte

Greisin mit stummem Angstgeschrei.

Ihr aber spracht vom Zukunftsgeschlechte

und nur meine Asche gabt ihr frei.


Verwaister Knabe auf östlichen Flächen,

ich fiel euch zu Füßen und flehte um Brot.

Ihr aber scheutet ein künftiges Rächen,

ihr zucktet die Achseln und gabt mir den Tod.


Ich kam, ein Gefangner, als Tagelöhner,

verschleppt und verkauft, von der Peitsche zerfetzt.

Ihr wandtet den Blick von dem struppigen Fröner.

Nun komm ich als Richter. Erkennt ihr mich jetzt?


Apokalyptische schwüle

Farben bröckelten ins Fahle.

Blumen blaßten hinter Gittern.

Über Stufen und Portale

ging ein stündliches Verwittern.

Aschenschatten, Dämmergäste,

Schemen wurden die Vertrauten.

Und ein bleicher Himmel preßte

lautlos sich auf Strom und Bauten.

Dächer schrumpften und entblößten

Schuld und Schwäche im Vergleiten.

Faulige Konturen lösten

sich in Nichtmehrwirklichkeiten.

In der gnadenlosen Schwüle

tödlich lagen wir gefangen.

Mahlte noch die dunkle Mühle

oder war auch sie zergangen?

Manchmal hörten wir ein Knistern,

klopften nachts die Totenuhren -

bis erlösend aus Kanistern

blanke Feuer niederfuhren


Die Lüge


Wo ist das Volk, das dies schadlos an seiner Seele ertrüge?
Jahre und Jahre war unsre tägliche Nahrung die Lüge.
Festlich hoben sie an, bekränzten Maschinen und Pflüge,
sprachen von Freiheit und Brot, und alles, alles war Lüge.
Borgten von heldischer Vorzeit aufrauschende Adlerflüge,
rühmten in Vätern sich selbst, und alles, alles war Lüge.
Durch die Straßen marschierten die endlosen Fahnenzüge
Glocken dröhnten dazu, und alles, alles war Lüge.
Nicht nach totem Gesetz bemaßen sie Lobspruch und Rüge,
Leben riefen sie an, und alles, alles war Lüge.
Dürres sollte erblühn! Sie wußten sich keine Genüge
in der Verheißung des Heils, und alles, alles war Lüge.
Noch das Blut an den Händen, umflorten sie Aschenkrüge,
sangen der Toten Ruhm, und alles, alles war Lüge.
Lüge atmeten wir. Bis ins innerste Herzgefüge
sickerte, Tropfen für Tropfen, der giftige Nebel der Lüge.
Und wir schrieen zur Hölle, gewürgt, erstickt von der Lüge,
daß im Strahl der Vernichtung die Wahrheit herniederschlüge.



Die heile Welt

Wisse, wenn in Schmerzensstunden
dir das Blut vom Herzen spritzt:
Niemand kann die Welt verwunden,
nur die Schale wird geritzt.


Tief im innersten der Ringe
ruht ihr Kern getrost und heil.
Und mit jedem Schöpfungsdinge
hast du immer an ihm teil.


Ewig eine strenge Güte
wirket unverbrüchlich fort.
Ewig wechselt Frucht und Blüte,
Vogelzug nach Süd und Nord.


Felsen wachsen, Ströme gleiten,
und der Tau fällt unverletzt.
Und dir ist von Ewigkeiten
Rast und Wanderbahn gesetzt.


Neue Wolken glühn im Fernen,
neue Gipfel stehn gehäuft,
bis von nie erblickten Sternen
dir die süße Labung träuft.