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CELAN, Paul


Heimkehr


Schneefall, dichter und dichter,

taubenfarben, wie gestern,

Schneefall, als schliefst du auch jetzt noch.


Weithin, gelagertes Weiß.

Drüberhin, endlos,

die Schlittenspur des Verlornen.


Darunter, geborgen,

stülpt sich empor,

was den Augen so weh tut,

Hügel um Hügel,

unsichtbar.


Auf jedem,

heimgeholt in sein Heute,

ein ins Stumme entglittenes Ich:

hölzern, ein Pflock.


Dort: ein Gefühl,

vom Eiswind herübergeweht,

das sein tauben-, sein schnee-

farbenes Fahnentuch festmacht.


Fadensonnen

Fadensonnen

über der grauschwarzen Ödnis.

Ein Baum-

hoher Gedanke

greift sich den Lichtton: es sind

noch Lieder zu singen jenseits

der Menschen.


Todesfuge

Schwarze Milch der Frühe wir trinken sie abends

wir trinken sie mittags und morgens wir trinken sie nachts

wir trinken und trinken

wir schaufeln ein Grab in den Lüften da liegt man nicht eng

Ein Mann wohnt im Haus der spielt mit den Schlangen der schreibt

der schreibt wenn es dunkelt nach Deutschland dein goldenes Haar Margarete

er schreibt es und tritt vor das Haus und es blitzen die Sterne er pfeift seine Rüden herbei

er pfeift seine Juden hervor läßt schaufeln ein Grab in der Erde

er befiehlt uns spielt auf nun zum Tanz

Schwarze Milch der Frühe wir trinken dich nachts

wir trinken dich morgens und mittags wir trinken dich abends

wir trinken und trinken

Ein Mann wohnt im Haus der spielt mit den Schlangen der schreibt

der schreibt wenn es dunkelt nach Deutschland dein goldenes Haar Margarete

Dein aschenes Haar Sulamith wir schaufeln ein Grab in den Lüften da liegt man nicht eng

Er ruft stecht tiefer ins Erdreich ihr einen ihr andern singet und spielt

er greift nach dem Eisen im Gurt er schwingts seine Augen sind blau

stecht tiefer die Spaten ihr einen ihr andern spielt weiter zum Tanz auf

Schwarze Milch der Frühe wir trinken dich nachts

wir trinken dich mittags und morgens wir trinken dich abends

wir trinken und trinken

ein Mann wohnt im Haus dein goldenes Haar Margarete

dein aschenes Haar Sulamith er spielt mit den Schlangen

Er ruft spielt süßer den Tod der Tod ist ein Meister aus Deutschland

er ruft streicht dunkler die Geigen dann steigt ihr als Rauch in die Luft

dann habt ihr ein Grab in den Wolken da liegt man nicht eng

Schwarze Milch der Frühe wir trinken dich nachts

wir trinken dich mittags der Tod ist ein Meister aus Deutschland

wir trinken dich abends und morgens wir trinken und trinken

der Tod ist ein Meister aus Deutschland sein Auge ist blau

er trifft dich mit bleierner Kugel er trifft dich genau

ein Mann wohnt im Haus dein goldenes Haar Margarete

er hetzt seine Rüden auf uns er schenkt uns ein Grab in der Luft

er spielt mit den Schlangen und träumet der Tod ist ein Meister aus Deutschland


dein goldenes Haar Margarete

dein aschenes Haar Sulamith



So bist du denn geworden

So bist du denn geworden

wie ich dich nie gekannt:

dein Herz schlägt allerorten

in einem Brunnenland,


wo kein Mund trinkt und keine

Gestalt die Schatten säumt,

wo Wasser quillt zum Scheine

und Schein wie Wasser schäumt.

Du steigst in alle Brunnen,

du schwebst durch jeden Schein.

Du hast ein Spiel ersonnen,

das will vergessen sein.


Mit wechselndem Schlüssel

Mit wechselndem Schlüssel
schliesst du das Haus auf, darin
der Schnee des Verschwiegenen treibt.
Je nach dem Blut, das dir quillt
aus Aug oder Mund oder Ohr,
wechselt dein Schlüssel.

Wechselt dein Schlüssel, wechselt das Wort,
das treiben darf mit den Flocken.
Je nach dem Wind, der dich fortstösst,
ballt um das Wort sich der Schnee.


Ein Lied in der Wüste

Ein Kranz ward gewunden aus schwärzlichem Laub in der Gegend von Akra:

dort riss ich den Rappen herum und stach nach dem Tod mit dem Degen.

Auch trank ich aus hölzernen Schalen die Asche der Brunnen von Akra

und zog mit gefalltem Visier den Trümmern der Himmel entgegen.


Denn tot sind die Engel und blind ward der Herr in der Gegend von Akra,

und keiner ist, der mir betreue im Schlaf die zur Ruhe hier gingen.

Zuschanden gehaun ward der Mond, das Blümlein der Gegend von Akra:

so blühn, die den Dornen es gleichtun, die Hände mit rostigen Ringen.


So muss ich zum Kuss mich wohl bücken zuletzt, wenn sie beten in Akra…

O schlecht war die Brünne der Nacht, es sickert das Blut durch die Spangen!

So ward ich ihr Iächelnder Bruder, der eiserne Cherub von Akra.

So sprech ich den Namen noch aus und fühl noch den Brand auf den Wangen.




Drüben


Erst jenseits des Kastanien ist die Welt.


Von dort kommt nachts ein Wind im Wolkenwagen,

und irgendwer steht auf dahier…

Den will ich über die Kastanien tragen:

`Bei mir ist Engelsüß und roter Fingerhut bei mir!

Erst jenseits der Kastanien ist die Welt.‘


Dann zirp ich leise, wie es Heimchen tun

dann halt ich ihn, dann muss er sich verwehren:

ihm legt mein Ruf sich ums Gelenk!

Den Wind hör ich in vielen Nächten wiederkehren:

`Bei mir flammt Ferne, bei dir ist es eng…‘

Dann zirp ich leise, wie es Heimchen tun.


Doch wenn die Nacht auch heut sich nicht erhellt,

und wiederkommt der Wind im Wolkenwagen:

‘Bei mir ist Engelsüß und roter Fingerhut bei mit!’

Und will ihn über die Kastanien tragen –

dann halt, dann halt ich ihn nicht hier.. .


Erst jenseits der Kastanien ist die Welt.



Ginds


Aan gindse kant van de kastanjes begint de wereld.


Van daar komt 's nachts de wind in zijn wolkenwagen,

en zo maar iemand staat op alhier ...

Die wil ik tot voorbij de kastanjes dragen:

'Bij mij is Engelzoet en Rode Vingerhoed, bij mij hier!

Aan gindse kant van de kastanje begint de wereld.


Dan tsjirp ik zachtjes, zoals krekels doen

dan hou ik hem vast, dan moet hij zich weren:

wikkelt mijn roep zich om zijn mouw!

De wind hoor ik vele nachten terugkeren:

‘Bij mij vlamt de verte, bij jou is ’t te nauw ... '

Dan tsjirp ik zachtjes, zoals krekels doen.


Maar zelfs wanneer de nacht ook nu niet oplicht,

en komt weer de wind in zijn wolkenwagen:

‘Bij mij is Engelzoet en Rode Vingerhoed, bij mij hier!’

En wil ik hem voorbij de kastanjes dragen -

dan hou, dan hou ik hem niet hier ...


Aan gindse kant van de kastanjes geeft de wereld licht.

Vertaling Z. DE MEESTER



Kristall

Nicht an meinen Lippen suche deinen Mund,
nicht vorm Tor den Fremdling,
nicht im Aug die Träne.

Sieben Nächte höher wander Rot zu Rot,
sieben Herzen tiefer pocht die Hand ans Tor,
sieben Rosen später rauscht der Brunnen.



Nachmittag mit Zirkus und Zitadelle


In Brest, vor den Flammenringen,

im Zelt, wo der Tiger sprang,

da hört ich dich, Endlichkeit, singen,

da sah ich dich, Mandelstamm.


Der Himmel hing über der Reede,

die Möwe hing über dem Kran.

Das Endliche sang, das Stete, —

du, Kanonenboot, heisst "Baobab".


Ich grüßte die Trikolore

mit einem russischen Wort —

Verloren war Unverloren,

das Herz ein befestigter Ort.


Psalm


Niemand knetet uns wieder aus Erde und Lehm,

niemand bespricht unsern Staub.

Niemand.


Gelobst seist du, Niemand.

Dir zulieb wollen

wir blühn.

Dir

entgegen.


Ein Nichts

wahren wir, sind wir, werden

wir bleiben, blühend:

die Nichts-, die

Niemandsrose.


Mit

dem Griffel seelenhell,

dem Staubfaden himmelswüst,

der Krone rot

vom Purpurwort, das wir sangen

über, o über

dem Dorn.


Corona


Aus der Hand frißt der Herbst mir sein Blatt: wir sind Freunde.

Wir schälen die Zeit aus den Nüssen und lehren sie gehn:

die Zeit kehrt zurück in die Schale.


Im Spiegel ist Sonntag,

im Traum wird geschlafen,

der Mund redet wahr.


Mein Aug steigt hinab zum Geschlecht der Geliebten:

wir sehen uns an,

wir sagen uns Dunkles,

wir lieben einander wie Mohn und Gedächtnis,

wir schlafen wie Wein in den Muscheln,

wie das Meer im Blutstrahl des Mondes.


Wir stehen umschlungen im Fenster, sie sehen uns zu von der Straße:

es ist Zeit, daß man weiß!

Es ist Zeit, daß der Stein sich zu blühen bequemt,

daß der Unrast ein Herz schlägt.

Es ist Zeit, daß es Zeit wird.


Es ist Zeit.


Wasser und Feuer


So warf ich dich denn in den Turm und sprach ein Wort zu den Eiben,

draus sprang eine Flamme, die maß dir ein Kleid an, dein Brautkleid:


Hell ist die Nacht,

hell ist die Nacht, die uns Herzen erfand

hell ist die Nacht!


Sie leuchtet weit übers Meer,

sie weckt die Monde im Sund und hebt sie auf gischtende Tische,

sie wäscht sie mir rein von der Zeit:

Totes Silber, leb auf, sei Schüssel und Napf wie die Muschel!


Der Tisch wogt stundauf und stundab,

der Wind füllt die Becher,

das Meer wälzt die Speise heran:

das schweifende Aug, das gewitternde Ohr,

den Fisch und die Schlange –


Der Tisch wogt nachtaus und nachtein,

und über mir fluten die Fahnen der Völker,

und neben mir rudern die Menschen die Särge an Land,

und unter mir himmelts und sternts wie daheim um Johanni!


Und ich blick hinüber zu dir,

Feuerumsonnte:

Denk an die Zeit, da die Nacht mit uns auf den Berg stieg,

denk an die Zeit,

denk, daß ich war, was ich bin:

ein Meister der Kerker und Türme,

ein Hauch in den Eiben, ein Zecher im Meer,

ein Wort, zu dem du herabbrennst.