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HEBBEL, Friedrich


Sommerbild


Ich sah des Sommers letzte Rose steh'n,

Sie war, als ob sie bluten könne, roth;

Da sprach ich schauernd im Vorübergeh'n:

So weit im Leben, ist zu nah' am Tod!


Es regte sich kein Hauch am heißen Tag,

Nur leise strich ein weißer Schmetterling;

Doch, ob auch kaum die Luft sein Flügelschlag

Bewegte, sie empfand es und verging.1


Herbstbild

Dies ist ein Herbsttag, wie ich keinen sah!

Die Luft ist still, als atmete man kaum,

Und dennoch fallen raschelnd, fern und nah,

Die schönsten Früchte ab von jedem Baum.

O stört sie nicht, die Feier der Natur!

Dies ist die Lese, die sie selber hält,

Denn heute löst sich von den Zweigen nur,

Was vor dem milden Strahl der Sonne fällt.


Requiem

Seele, vergiß sie nicht,

Seele, vergiß nicht die Toten!

Sieh, sie umschweben dich,

Schauernd, verlassen,

Und in den heiligen Gluten,

Die den Armen die Liebe schürt,

Atmen sie auf und erwarmen,

Und genießen zum letzten Mal

Ihr verglimmendes Leben.

Seele, vergiß sie nicht,

Seele, vergiß nicht die Toten!

Sieh, sie umschweben dich,

Schauernd, verlassen,

Und wenn du dich erkältend

Ihnen verschließest, erstarren sie

Bis hinein in das Tiefste.

Dann ergreift sie der Sturm der Nacht,

Dem sie, zusammengekrampft in sich,

Trotzten im Schoße der Liebe,

Und er jagt sie mit Ungestüm

Durch die unendliche Wüste hin,

Wo nicht Leben mehr ist, nur Kampf

Losgelassener Kräfte

Um erneuertes Sein!

Seele, vergiß sie nicht,

Seele, vergiß nicht die Toten!


Ein Bild aus Reichenau

Auf einer Blume, rot und brennend, saß

Ein Schmetterling, der ihren Honig sog,

Und sich in seiner Wollust so vergaß,

Daß er vor mir nicht einmal weiterflog.

Ich wollte sehn, wie süß die Blume war,

Und brach sie ab: er blieb an seinem Ort;

Ich flocht sie der Geliebten in das Haar:

Er sog, wie aufgelöst in Wonne, fort!


Spaziergang am Herbstabend


Wenn ich abends einsam gehe

Und die Blätter fallen sehe,

Finsternisse niederwallen,

Ferne, fromme Glocken hallen:


Ach, wie viele sanfte Bilder,

Immer inniger und milder,

Schatten längst vergangner Zeiten,

Seh ich dann vorübergleiten.


Was ich in den fernsten Stunden,

Oft nur halb bewusst, empfunden,

Dämmert auf in Seel' und Sinnen,

Mich noch einmal zu umspinnen.


Und im inneren Zerfließen

Mein ich's wieder zu genießen,

Was mich vormals glücklich machte,

Oder mir Vergessen brachte.


Doch, dann frag ich mich mit Beben:

Ist so ganz verarmt dein Leben?

Was du jetzt ersehnst mit Schmerzen,

Sprich, was war es einst dem Herzen?


Völlig dunkel ist's geworden,

Schärfer bläst der Wind aus Norden,

Und dies Blatt, dies kalt benetzte,

Ist vielleicht vom Baum das letzte.