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JEAN PAUL


Hesperus , oder 45 Hundposttage

Briefe
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Sein Charakter und der Inhalt dieses Traums schließen den Argwohn der Erdichtung aus. – Übrigens wenn ihm auch Klotilde den eingehüllten Wunsch, sie in Maienthal zu sehen, versagt: so muß sie es doch auf einem Blättchen und mit drei Zeilen tun, die er dann tausendmal lesen kann und die das Bilder- und Siegelkabinett, worin schon Hut und Prospekte liegen, um ein Ansehnliches bereichern. Inzwischen stand er in seinem schönen Alpental zwischen zwei hohen Bergen, auf deren jedem sich der Stoff zu einer Schneelauwine regte – vielleicht ist schon oben eine im erquetschenden Gange, und er kann sie noch nicht sehen. – Die erste Lauwine, die sein geringster Laut über ihn herunterwerfen kann, ist sein tolles Verhältnis mit seiner höfischen Bekanntschaft. Er kann sich rühmen, sie sämtlich aufgebracht zu haben: die Fürstin, Joachimen, Matthieu. Aber auch ohne das muß schon irgendein Konduktor – bloß weil er nicht auf dem gemeinschaftlichen Isolierschemel des Thrones mit steht – mit einem verjüngten Blitze in seine Finger oder Augen einschlagen; in Kollegien und an Höfen bleibt ohne Verbindung keiner aufrecht, es ist da wie auf den Galeeren, wo alle Sklaven ihre Ruder zugleich bewegen müssen, wenn keiner die Schneide der Kette empfinden soll. Aber Viktor sagte zu sich: »Sei kein Kind! sei kein umgekehrter Fuchs, der saure Trauben, bloß weil er sie nicht mehr erspringen kann, für süß ausgibt! Ich schmeichle mir, du kannst höfische Herzen entraten, die wie ihre Gerichte über einem Wärmbecken voll flimmernden Weingeist erst aufgewärmt werden müssen. – Beim Himmel, ein Mensch wird doch essen können, wenn auch das, was er anspießet, nicht von einem Gardesoldaten aus der Küche geholt, dann einem Pagen eingehändigt, dann von einem Kammerherrn oder sonstigen Ordonnanzkavalier aufgetragen worden ist. – Nur meinen Vater wenns nicht verschlägt!« Das wars eben; am Sohne war nichts zu fällen, sondern am Vater, für den man den Wald- und Opferhammer wahrscheinlich so lang aufgehoben schweben lässet, bis er mit seinem Kopfe daruntersteht, der ohne seine Zurückkunft nicht zu haben ist.


Aber ein Pastor fido fragt den Henker nach der ersten Schneelauwine. Auf den Harmonikaglocken seiner Phantasie hören die äußern Übelklänge des Schicksals, wie das Wagen-Gerolle des Pflasters auf einem Saitenbezuge, in sanft auffliegendem Ertönen auf. Bei ihm war, wie bei den Astrologen, der April, gleich meinem Buche dem Abendsterne, d.h. der Venus geweihet.

Hingegen die andere Schneelauwine lag schon im voraus auf seiner Brust – der mögliche Bruch mit Klotildens Bruder. Einen Eifersüchtigen bekehren die zwölf Apostel und die zwölf kleinen Propheten nicht; – wenn er am Sonntage kuriert ist: so wird er am Montage wieder krank, am Dienstage raset er, und am Mittwoche könnt ihr ihn wieder losbinden, er ist matt und klug und – – passet nur auf. Der eifersüchtige Krebs auf der Brust ist nie ganz zu schneiden, wenn ich großen Heilkünstlern glauben soll. – Dasmal war noch dazu etwas Wahres dran; auch schaffet es der Eifersüchtige zeitig bei; Eifersucht erzwingt Untreue, und das gequälte Weib will, soviel an ihr ist, den Mann nicht in Irrtum lassen. Ich kann mir die Mühe nicht machen (sondern der Leser), in meiner Lebensbeschreibung meinem Helden alle kleinen Fugen und F-Löcher nachzuzählen, wodurch er bisher seinen

Flamin in sein verliebtes Herz sehen und hören lassen: diese Astlöcher sind desto größer, da er vor dem dritten Ostertag eben darum unvorsichtiger war, weil er unschuldiger war, oder vielmehr unglücklicher.

Dazu kam, daß Flamin – der den teuern Evangelisten Matthäus täglich aufrichtiger und offner fand (wie ein ausgeschossenes Zündloch) – seinen treuen Bastian täglich für hinterlistiger und undurchsichtiger ansah. Ich wollt', der Regierrat wäre gescheuter: aber dichte Seelen, wie Viktors seine, die mehre Kräfte und eben darum mehre Seiten haben, scheinen freilich weniger porös zu sein, so wie vollötige Schriftsteller weniger deutlich- ein Mensch, der euch alle seine ineinanderschillernden Farben seines Herzens mit Offenheit aufdeckt, verliert dadurch den Ruhm der Offenheit – einer, der wie Viktor fremde Kniffe aus Laune sammelt und vormacht, scheint sie nachzumachen – ein veränderlicher, ein ironischer, ein feiner Mensch ist in eingeschränkten Augen ein falscher Dieb von Haus aus. – Auch sprang Viktor, wenns ohne Lärm anging, langen Erwähnungen Klotildens, d.h. langen Verstellungen, aus dem Wege; und eben diese Flucht vor Hinterlist, eben seine jetzige größere Menschenfreundlichkeit gegen Flamin verschatteten gerade seine edle Gestalt; und über den verdrehenden Argwohn tröstete ihn nichts als die süße Betrachtung, daß er dem Bruder seiner Geliebten und seines Herzens zu Gefallen den schönsten Tagen in Maienthal den Rücken zukehre.