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SCHILLER, Friedrich von


Der Abend


Die Sonne zeigt, vollendend gleich dem Helden,

Dem tiefen Tal ihr Abendangesicht,

(Für andre, ach! glückselgre Welten

Ist das ein Morgenangesicht),

Sie sinkt herab vom blauen Himmel,

Ruft die Geschäftigkeit zur Ruh,

Ihr Abschied stillt das Weltgetümmel

Und winkt dem Tag sein Ende zu.


Jetzt schwillt des Dichters Geist zu göttlichen Gesängen,

Laß strömen sie, o Herr, aus höherem Gefühl,

Laß die Begeisterung die kühnen Flügel schwingen,

Zu dir, zu dir, des hohen Fluges Ziel,

Mich über Sphären himmelan gehoben,

Getragen sein vom herrlichen Gefühl,

Den Abend und des Abends Schöpfer loben,

Durchströmt vom paradiesischen Gefühl.

Für Könige, für Große ists geringe,

Die Niederen besucht es nur –

O Gott, du gabest mir Natur,

Teil Welten unter sie – nur, Vater, mir Gesänge.


Ha! wie die müden Abschiedsstrahlen

Das wallende Gewölk bemalen,

Wie dort die Abendwolken sich

Im Schoß der Silberwellen baden;

O Anblick, wie entzückst du mich!

Gold, wie das Gelb gereifter Saaten,

Gold liegt um alle Hügel her,

Vergöldet sind der Eichen Wipfel,

Vergöldet sind der Berge Gipfel,

Das Tal beschwimmt ein Feuermeer;

Der hohe Stern des Abends strahlet

Aus Wolken, welche um ihn glühn,

Wie der Rubin am falben Haar, das wallet

Ums Angesicht der Königin.

Schau, wie der Sonnenglanz die Königsstadt beschimmert

Und fern die grüne Heide lacht;

Wie hier in jugendlicher Pracht

Der ganze Himmel niederdämmert;

Wie jetzt des Abends Purpurstrom,

Gleich einem Beet von Frühlingsrosen,

Gepflücket im Elysium,

Auf goldne Wolken hingegossen,

Ihn überschwemmet um und um.


Vom Felsen rieselt spiegelhelle

Ins Gras die reinste Silberquelle

Und tränkt die Herd' und tränkt den Hirt;

Am Weidenbusche liegt der Schäfer,

Des Lied das ganze Tal durchirrt

Und wiederholt im Tale wird.

Die stille Luft durchsumst der Käfer;

Vom Zweige schlägt die Nachtigall,

Ihr Meisterlied macht alle Ohren lauschen,

Bezaubert von dem Götterschall

Wagt itzt kein Blatt vom Baum zu rauschen,

Stürzt langsamer der Wasserfall.

Der kühle West beweht die Rose,

Die eben itzt den Busen schloße,

Entatmet ihr den Götterduft

Und füllt damit die Abendluft.

Ha, wie es schwärmt und lebt von tausend Leben,

Die alle dich, Unendlicher, erheben,

Zerflossen in melodischem Gesang,

Wie tönt des Jubels himmlischer Gesang!

Wie tönt der Freude hoch erhabner Klang!

Und ich allein bin stumm – nein, tön es aus, o Harfe,

Schall, Lob des Herrn, in seines Staubes Harfe.


Verstumm, Natur, umher und horch der hohen Harfe,

Dann Gott entzittert ihr,

Hör auf, du Wind, durchs Laub zu sausen,

Hör auf, du Strom, durchs Feld zu brausen,

Und horcht und betet an mit mir:

Gott tuts, wenn in den weiten Himmeln

Planeten und Kometen wimmeln,

Wenn Sonnen sich um Achsen drehn

Und an der Erd vorüberwehn.

…..


Die Teilung der Erde


»Nehmt hin die Welt!« rief Zeus von seinen Höhen

Den Menschen zu. »Nehmt, sie soll euer sein!

Euch schenk ich sie zum Erb und ewgen Lehen -

Doch teilt euch brüderlich darein!«


Da eilt', was Hände hat, sich einzurichten,

Es regte sich geschäftig jung und alt.

Der Ackermann griff nach des Feldes Früchten,

Der Junker birschte durch den Wald.


Der Kaufmann nimmt, was seine Speicher fassen,

Der Abt wählt sich den edeln Firnewein,

Der König sperrt die Brücken und die Straßen

Und sprach: »Der Zehente ist mein.«


Ganz spät, nachdem die Teilung längst geschehen,

Naht der Poet, er kam aus weiter Fern -

Ach! da war überall nichts mehr zu sehen,

Und alles hatte seinen Herrn!


»Weh mir! So soll denn ich allein von allen

Vergessen sein, ich, dein getreuster Sohn?«

So ließ er laut der Klage Ruf erschallen

Und warf sich hin vor Jovis Thron.


»Wenn du im Land der Träume dich verweilet«,

Versetzt der Gott, »so hadre nicht mit mir.

Wo warst du denn, als man die Welt geteilet?«

»Ich war«, sprach der Poet, »bei dir.«


Mein Auge hing an deinem Angesichte,

An deines Himmels Harmonie mein Ohr -

Verzeih dem Geiste, der, von deinem Lichte

Berauscht, das Irdische verlor!«


»Was tun?« spricht Zeus, »die Welt ist weggegeben,

Der Herbst, die Jagd, der Markt ist nicht mehr mein.

Willst du in meinem Himmel mit mir leben -

So oft du kommst, er soll dir offen sein.«



An den Frühling

Willkommen, schöner Jüngling!

Du Wonne der Natur!

Mit deinem Blumenkörbchen

Willkommen auf der Flur!

Ei! ei! da bist ja wieder!

Und bist so lieb und schön!

Und freun wir uns so herzlich,

Entgegen dir zu gehn.

Denkst auch noch an mein Mädchen?

Ei, Lieber, denke doch!

Dort liebte mich das Mädchen,

Und ’s Mädchen liebt mich noch!

Fürs Mädchen manches Blümchen

Erbat ich mir von dir – (*)

Ich komm’ und bitte wieder,

Und du? – du gibst es mir.

Willkommen, schöner Jüngling!

Du Wonne der Natur!

Mit deinem Blumenkörbchen

Willkommen auf der Flur!


Ode an die Freude

O Freunde, nicht diese Töne!
Sondern laßt uns angenehmere anstimmen
Und freudenvollere!

Freude, schöner Götterfunken,
Tochter aus Elysium,
Wir betreten feuertrunken,
Himmlische, dein Heiligtum!
Deine Zauber binden wieder,
Was die Mode streng geteilt;
Alle Menschen werden Brüder,
Wo dein sanfter Flügel weilt.

Wem der große Wurf gelungen,
Eines Freundes Freund zu sein,
Wer ein holdes Weib errungen,
Mische seinen Jubel ein!
Ja, wer auch nur eine Seele
Sein nennt auf dem Erdenrund!
Und wer's nie gekonnt, der stehle
Weinend sich aus diesem Bund.

Freude trinken alle Wesen
An den Brüsten der Natur:
Alle Guten, alle Bösen
Folgen ihrer Rosenspur.
Küsse gab sie uns, und Reben,
Einen Freund, geprüft im Tod;
Wollust ward dem Wurm gegeben,
Und der Cherub steht vor Gott!

Froh, wie seine Sonnen fliegen
Durch des Himmels prächt'gen Plan,
Laufet, Brüder, eure Bahn,
Freudig, wie ein Held zum Siegen.

Seid umschlungen, Millionen,
Diesen Kuß der ganzen Welt!
Brüder! Über'm Sternenzelt
Muß ein lieber Vater wohnen.
Ihr stürzt nieder, Millionen?
Ahnest du den Schöpfer, Welt?
Such' ihn über'm Sternenzelt!
Über Sternen muß er wohnen.


Nänie

Auch das Schöne muß sterben! Das Menschen und Götter bezwinget,

Nicht die eherne Brust rührt es des stygischen Zeus.

Einmal nur erweichte die Liebe den Schattenbeherrscher,

Und an der Schwelle noch, streng, rief er zurück sein Geschenk.

Nicht stillt Aphrodite dem schönen Knaben die Wunde,

Die in den zierlichen Leib grausam der Eber geritzt.

Nicht errettet den göttlichen Held die unsterbliche Mutter,

Wann er, am skäischen Tor fallend, sein Schicksal erfüllt.

Aber sie steigt aus dem Meer mit allen Töchtern des Nereus,

Und die Klage hebt an um den verherrlichten Sohn.

Siehe! Da weinen die Götter, es weinen die Göttinnen alle,

Daß das Schöne vergeht, daß das Vollkommene stirbt.

Auch ein Klaglied zu sein im Mund der Geliebten, ist herrlich,

Denn das Gemeine geht klanglos zum Orkus hinab.


Des Mädchens Klage

Der Eichwald brauset,

Die Wolken ziehn,

Das Mägdlein sitzet

An Ufers Grün,
Es bricht sich die Welle mit Macht, mit Macht,
Und sie seufzt hinaus in die finstre Nacht,

Das Auge vom Weinen getrübet.

„Das Herz ist gestorben,

Die Welt ist leer,
Und weiter giebt sie
Dem Wunsche nichts mehr.

Du Heilige rufe dein Kind zurück,

Ich habe genossen das irdische Glück,

Ich habe gelebt und geliebet!“

Es rinnet der Thränen
Vergeblicher Lauf,

Die Klage sie wecket

Die Todten nicht auf,

Doch nenne, was tröstet und heilet die Brust
Nach der süßen Liebe verschwundener Lust,
Ich, die himmlische, wills nicht versagen.

„Laß rinnen der Thränen

Vergeblichen Lauf,

Es wecke die Klage
Den Todten nicht auf,
Das süßeste Glück für die traurende Brust,

Nach der schönen Liebe verschwundener Lust,

Sind der Liebe Schmerzen und Klagen.


Das Mädchen aus der Fremde

In einem Tal bei armen Hirten

Erschien mit jedem jungen Jahr,

Sobald die ersten Lerchen schwirrten,

Ein Mädchen, schön und wunderbar.

Sie war nicht in dem Tal geboren,

Man wußte nicht, woher sie kam,

Doch schnell war ihre Spur verloren,

Sobald das Mädchen Abschied nahm.

Beseligend war ihre Nähe

Und alle Herzen wurden weit;

Doch eine Würde, eine Höhe

Entfernte die Vertraulichkeit.

Sie brachte Blumen mit und Früchte,

Gereift auf einer andern Flur,

In einem andern Sonnenlichte,

In einer glücklichern Natur,

Und teilte jedem eine Gabe,

Dem Früchte, jenem Blumen aus;

Der Jüngling und der Greis am Stabe,

Ein jeder ging beschenkt nach Haus.

Willkommen waren alle Gäste,

Doch nahte sich ein liebend Paar,

Dem reichte sie der Gaben beste,

Der Blumen allerschönste dar.


Die Bürgschaft


Zu Dionys, dem Tyrannen, schlich

Damon, den Dolch im Gewande;

Ihn schlugen die Häscher in Bande.

„Was wolltest du mit dem Dolche, sprich!“

Entgegnet ihm finster der Wüterich.

„Die Stadt vom Tyrannen befreien!“

„Das sollst du am Kreuze bereuen.“


„Ich bin“, spricht jener, „zu sterben bereit

Und bitte nicht um mein Leben;

Doch willst du Gnade mir geben,

Ich flehe dich um drei Tage Zeit,

Bis ich die Schwester dem Gatten gefreit;

Ich lasse den Freund dir als Bürgen –

Ihn magst du, entrinn ich, erwürgen.“


…..

Da sinkt er ans Ufer und weint und fleht,

Die Hände zum Zeus erhoben:

„O hemme des Stromes Toben!

Es eilen die Stunden, im Mittag steht

Die Sonne, und wenn sie niedergeht,

Und ich kann die Stadt nicht erreichen,

So muß der Freund mir erbleichen.“


Doch wachsend erneut sich des Stromes Wut,

Und Welle auf Welle zerrinnet,

Und Stunde an Stunde entrinnet.

Da treibt ihn die Angst, da fasst er sich Mut

Und wirft sich hinein in die brausende Flut

Und teilt mit gewaltigen Armen

Den Strom, und ein Gott hat Erbarmen.


Und gewinnt das Ufer und eilet fort

Und danket dem rettenden Gotte;

Da stürzet die raubende Rotte

Hervor aus des Waldes nächtlichem Ort,

Den Pfad ihm sperrend, und schnaubet Mord

Und hemmet des Wanderers Eile

Mit drohend geschwungener Keule.


…..

Und die Sonne blickt durch der Zweige Grün

Und malt auf den glänzenden Matten

Der Bäume gigantische Schatten;

Und zwei Wanderer sieht er die Straße ziehn,

Will eilenden Laufes vorüberfliehn,

Da hört er die Worte sie sagen:

„Jetzt wird er ans Kreuz geschlagen.“


Und die Angst beflügelt den eilenden Fuß,

Ihn jagen der Sorge Qualen;

Da schimmern in Abendrots Strahlen

Von ferne die Zinnen von Syrakus,

Und entgegen kommt ihm Philostratus,

Des Hauses redlicher Hüter,

Der erkennet entsetzt den Gebieter:


…..


Die Götter Griechenlands


Wo jetzt nur, wie unsre Weisen sagen,

Seelenlos ein Feuerball sich dreht,

Lenkte damals seinen goldnen Wagen

Helios in stiller Majestät.

Diese Höhen füllten Oreaden,

Eine Dryas starb mit jenem Baum,

Aus den Urnen lieblicher Najaden

Sprang der Ströme Silberschaum.

…..

Himmlisch und unsterblich war das Feuer,

Das in Pindars stolzen Hymnen floß,

Niederströmte in Arions Leier,

In den Stein des Phidias sich goß.

Beßre Wesen, edlere Gestalten

Kündigten die hohe Abkunft an.

Götter, die vom Himmel niederwallten,

Sahen hier ihn wieder aufgetan.

…..

Das Evoë muntrer Thyrsusschwinger

Und der Panther prächtiges Gespann

Meldeten den großen Freudebringer.

Faun und Satyr taumeln ihm voran,

Um ihn springen rasende Mänaden,

Ihre Tänze loben seinen Wein,

Und die Wangen des Bewirters laden

Lustig zu dem Becher ein.

Höher war der Gabe Wert gestiegen,

Die der Geber freundlich mit genoß,

Näher war der Schöpfer dem Vergnügen,

Das im Busen des Geschöpfes floß.

Nennt der meinige sich dem Verstande?

Birgt ihn etwa der Gewölke Zelt?

Mühsam späh ich im Ideenlande,

Fruchtlos in der Sinnenwelt.

Eure Tempel lachten gleich Palästen,

Euch verherrlichte das Heldenspiel

An des Isthmus kronenreichen Festen,

Und die Wagen donnerten zum Ziel.

Schön geschlungne seelenvolle Tänze

Kreisten um den prangenden Altar,

Eure Schläfe schmückten Siegeskränze,

Kronen euer duftend Haar.

…..

Seiner Güter schenkte man das beste,

Nach der Geister schrecklichen Gesetzen

Richtete kein heiliger Barbar,

Dessen Augen Tränen nie benetzen,

Zarte Wesen, die ein Weib gebar.

Selbst des Orkus strenge Richterwaage

Hielt der Enkel einer Sterblichen,

Und des Thrakers seelenvolle Klage

Rührte die Erinnyen.

…..

Schöne Welt, wo bist du? – Kehre wieder,

Holdes Blütenalter der Natur!

Ach! nur in dem Feenland der Lieder

Lebt noch deine goldne Spur.

Ausgestorben trauert das Gefilde,

Keine Gottheit zeigt sich meinem Blick,

Ach! von jenem lebenwarmen Bilde

Blieb nur das Gerippe mir zurück.

Alle jenen Blüten sind gefallen

Von des Nordes winterlichem Wehn.

Einen zu bereichern, unter allen,

Mußte diese Götterwelt vergehn.

Traurig such ich an dem Sternenbogen,

Dich, Selene, find ich dort nicht mehr;

Durch die Wälder ruf ich, durch die Wogen,

Ach! sie widerhallen leer!

…..

Bürger des Olymps konnt ich erreichen,

Jenem Gotte, den sein Marmor preist,

Konnte einst der hohe Bildner gleichen;

Was ist neben dir der höchste Geist

Derer, welche Sterbliche gebaren?

Nur der Würmer Erster, Edelster.

Da die Götter menschlicher noch waren,

Waren Menschen göttlicher.

Dessen Strahlen mich darnieder schlagen,

Werk und Schöpfer des Verstandes! dir

Nachzuringen, gib mir Flügel, Waagen,

Dich zu wägen – oder nimm von mir,

Nimm die ernste, strenge Göttin wieder,

Die den Spiegel blendend vor mir hält;

Ihre sanftre Schwester sende nieder,

Spare jene für die andre Welt.


Die Ideale

So willst du treulos von mir scheiden

Mit deinen holden Phantasien,

Mit deinen Schmerzen, deinen Freuden,

Mit allen unerbittlich fliehn?

Kann nichts dich, Fliehende, verweilen,

O meines Lebens goldne Zeit?

Vergebens, deine Wellen eilen

Hinab ins Meer der Ewigkeit.

Erloschen sind die heitern Sonnen,

Die meiner Jugend Pfad erhellt;

Die Ideale sind zerronnen,

Die einst das trunkne Herz geschwellt;

Er ist dahin, der süße Glaube

An Wesen, die mein Traum gebar,

Der rauhen Wirklichkeit zum Raube,

Was einst so schön, so göttlich war.

Wie einst mit flehendem Verlangen

Pygmalion den Stein umschloß,

Bis in des Marmors kalten Wangen

Empfindung glühend sich ergoß,

So schlang ich mich mit Liebesarmen

Um die Natur, mit Jugendlust,

Bis sie zu athmen, zu erwarmen

Begann an meiner Dichterbrust,

Und, theilend meine Flammentriebe,

Die Stumme eine Sprache fand,

Mir wiedergab den Kuß der Liebe

Und meines Herzens Klang verstand;

Da lebte mir der Baum, die Rose,

Mir sang der Quellen Silberfall,

Es fühlte selbst das Seelenlose

Von meines Lebens Wiederhall.

Es dehnte mit allmächt'gem Streben

Die enge Brust ein kreisend All,

Herauszutreten in das Leben,

In That und Wort, in Bild und Schall.

Wie groß war diese Welt gestaltet,

So lang die Knospe sie noch barg;

Wie wenig, ach! hat sich entfaltet,

Dies Wenige, wie klein und karg!

Wie sprang, von kühnem Muth beflügelt,

Beglückt in seines Traumes Wahn,

Von keiner Sorge noch gezügelt,

Der Jüngling in des Lebens Bahn.

Bis an des Äthers bleichste Sterne

Erhob ihn der Entwürfe Flug;

Nichts war so hoch und nichts so ferne,

Wohin ihr Flügel ihn nicht trug.

Wie leicht war er dahin getragen,

Was war dem Glücklichen zu schwer!

Wie tanzte vor des Lebens Wagen

Die luftige Begleitung her!

Die Liebe mit dem süßen Lohne,

Das Glück mit seinem goldnen Kranz,

Der Ruhm mit seiner Sternenkrone,

Die Wahrheit in der Sonne Glanz!

Doch, ach! schon auf des Weges Mitte

Verloren die Begleiter sich,

Sie wandten treulos ihre Schritte,

Und einer nach dem andern wich.

Leichtfüßig war das Glück entflogen,

Des Wissens Durst blieb ungestillt,

Des Zweifels finstre Wetter zogen

Sich um der Wahrheit Sonnenbild.

Ich sah des Ruhmes heil'ge Kränze

Auf der gemeinen Stirn entweiht.

Ach, allzuschnell, nach kurzem Lenze

Entfloh die schöne Liebeszeit!

Und immer stiller ward's und immer

Verlaßner auf dem rauhen Steg;

Kaum warf noch einen bleichen Schimmer

Die Hoffnung auf den finstern Weg.

Von all dem rauschenden Geleite

Wer harrte liebend bei mir aus?

Wer steht mir tröstend noch zur Seite

Und folgt mir bis zum finstern Haus?

Du, die du alle Wunden heilest,

Der Freundschaft leise, zarte Hand,

Des Lebens Bürden liebend theilest,

Du, die ich frühe sucht' und fand.

Und du, die gern sich mir ihr gattet,

Wie sie, der Seele Sturm beschwört,

Beschäftigung, die nie ermattet,

Die langsam schafft, doch nie zerstört,

Die zu dem Bau der Ewigkeiten

Zwar Sandkorn nur für Sandkorn reicht,

Doch von der großen Schuld der Zeiten

Minuten, Tage, Jahre streicht.


Das Lied von der Glocke
…..
Nun zerbrecht mir das Gebäude,

Seine Absicht hat's erfüllt,

Dass sich Herz und Auge weide

An dem wohlgelungnen Bild.

Schwingt den Hammer, schwingt,

Bis der Mantel springt,

Wenn die Glock soll auferstehen,

Muss die Form in Stücke gehen.

Der Meister kann die Form zerbrechen

Mit weiser Hand, zur rechten Zeit,

Doch wehe, wenn in Flammenbächen

Das glühnde Erz sich selbst befreit!

Blindwütend mit des Donners Krachen

Zersprengt es das geborstne Haus,

Und wie aus offnem Höllenrachen

Speit es Verderben zündend aus;

Wo rohe Kräfte sinnlos walten,

Da kann sich kein Gebild gestalten,

Wenn sich die Völker selbst befrein,

Da kann die Wohlfahrt nicht gedeihn.

Weh, wenn sich in dem Schoß der Städte

Der Feuerzunder still gehäuft,

Das Volk, zerreißend seine Kette,

Zur Eigenhilfe schrecklich greift!

Da zerret an der Glocken Strängen

Der Aufruhr, dass sie heulend schallt

Und, nur geweiht zu Friedensklängen,

Die Losung anstimmt zur Gewalt.

Freiheit und Gleichheit! hört man schallen,

Der ruhige Bürger greift zur Wehr,

Die Straßen füllen sich, die Hallen,

Und Würgerbanden ziehn umher,

Das werden Weiber zu Hyänen

Und treiben mit Entsetzen Scherz,

Noch zuckend, mit des Panthers Zähnen,

Zerreißen sie des Feindes Herz.

Nichts Heiliges ist mehr, es lösen

Sich alle Bande frommer Scheu,

Der Gute räumt den Platz dem Bösen,

Und alle Laster walten frei.

Gefährlich ist's, den Leu zu wecken,

Verderblich ist des Tigers Zahn,

Jedoch der schrecklichste der Schrecken,

Das ist der Mensch in seinem Wahn.

Weh denen, die dem Ewigblinden

Des Lichtes Himmelsfackel leihn!

Sie strahlt ihm nicht, sie kann nur zünden

Und äschert Städt und Länder ein.

Freude hat mir Gott gegeben!

Sehet! Wie ein goldner Stern

Aus der Hülse, blank und eben,

Schält sich der metallne Kern.

Von dem Helm zum Kranz

Spielt's wie Sonnenglanz,

Auch des Wappens nette Schilder

Loben den erfahrnen Bilder.

Herein! herein!

Gesellen alle, schließt den Reihen,

Dass wir die Glocke taufend weihen,

Concordia soll ihr Name sein,

Zur Eintracht, zu herzinnigem Vereine

Versammle sich die liebende Gemeinde.

Und dies sei fortan ihr Beruf,

Wozu der Meister sie erschuf!

Hoch überm niedern Erdenleben

Soll sie im blauen Himmelszelt

Die Nachbarin des Donners schweben

Und grenzen an die Sternenwelt,

Soll eine Stimme sein von oben,

Wie der Gestirne helle Schar,

Die ihren Schöpfer wandelnd loben

Und führen das bekränzte Jahr.

Nur ewigen und ernsten Dingen

Sei ihr metallner Mund geweiht,

Und stündlich mit den schnellen Schwingen

Berühr im Fluge sie die Zeit,

Dem Schicksal leihe sie die Zunge,

Selbst herzlos, ohne Mitgefühl,

Begleite sie mit ihrem Schwunge

Des Lebens wechselvolles Spiel.

Und wie der Klang im Ohr vergehet,

Der mächtig tönend ihr erschallt,

So lehre sie, dass nichts bestehet,

Dass alles Irdische verhallt.

Jetzo mit der Kraft des Stranges

Wiegt die Glock mir aus der Gruft,

Dass sie in das Reich des Klanges

Steige, in die Himmelsluft.

Ziehet, ziehet, hebt!

Sie bewegt sich, schwebt,

Freude dieser Stadt bedeute,

Friede sei ihr erst Geläute.

…..


Kassandra

Freude war in Trojas Hallen,

Eh die hohe Feste fiel;

Jubelhymnen hört man schallen

In der Saiten goldnes Spiel;

Alle Hände ruhen müde

Von dem thränenvollen Streit,

Weil der herrliche Pelide

Priams schöne Tochter freit.

Und geschmückt mit Lorberreisern,

Festlich wallet Schaar auf Schaar

Nach der Götter heil'gen Häusern,

Zu des Thymbriers Altar.

Dumpf erbrausend durch die Gassen

Wälzt sich die bacchant'sche Lust,

Und in ihrem Schmerz verlassen

War nur eine traur'ge Brust.

Freudlos in der Freude Fülle,

Ungesellig und allein,

Wandelte Kassandra stille

In Apollos Lorbeerhain.

In des Waldes tiefste Gründe

Flüchtete die Seherin,

Und sie warf die Priesterbinde

Zu der Erde zürnend hin:

»Alles ist der Freude offen,

Alle Herzen sind beglückt,

Und die alten Eltern hoffen,

Und die Schwester steht geschmückt.

Ich allein muß einsam trauern,

Denn mich flieht der süße Wahn,

Und geflügelt diesen Mauern

Seh' ich das Verderben an.

»Eine Fackel seh' ich glühen,

Aber nicht in Hymens Hand;

Nach den Wolken seh' ich ziehen,

Aber nicht wie Opferbrand.

Feste seh' ich froh bereiten,

Doch im ahnungsvollen Geist

Hör' ich schon des Gottes Schreiten,

Der sie jammervoll zerreißt.

»Und sie schelten meine Klagen,

Und sie höhnen meinen Schmerz.

Einsam in die Wüste tragen

Muß ich mein gequältes Herz,

Von den Glücklichen gemieden

Und den Fröhlichen ein Spott!

Schweres hast du mir beschieden,

Pythischer, du arger Gott!

»Dein Orakel zu verkünden,

Warum warfest du mich hin

In die Stadt der ewig Blinden

Mit dem aufgeschloßnen Sinn?

Warum gabst du mir zu sehen,

Was ich doch nicht wenden kann?

Das Verhängte muß geschehen,

Das Gefürchtete muß nahn.

»Frommt's, den Schleier aufzuheben,

Wo das nahe Schreckniß droht?

Nur der Irrthum ist das Leben,

Und das Wissen ist der Tod.

Nimm, o nimm die traur'ge Klarheit,

Mir vom Aug den blut'gen Schein!

Schrecklich ist es, deiner Wahrheit

Sterbliches Gefäß zu sein.

»Meine Blindheit gib mir wieder

Und den fröhlich dunklen Sinn!

Nimmer sang ich freud'ge Lieder,

Seit ich deine Stimme bin.

Zukunft hast du mir gegeben,

Doch du nahmst den Augenblick,

Nahmst der Stunde fröhlich Leben –

Nimm dein falsch Geschenk zurück!

»Nimmer mit dem Schmuck der Bräute,

Kränzt' ich mir das duft'ge Haar,

Seit ich deinem Dienst mich weihte

An dem traurigen Altar.

Meine Jugend war nur Weinen,

Und ich kannte nur den Schmerz,

Jede herbe Noth der Meinen

Schlug an mein empfindend Herz.

…..


Die Kraniche des Ibykus


…..

Schon winkt auf hohem Bergesrücken

Akrokorinth des Wandrers Blicken,

Und in Poseidons Fichtenhain

Tritt er mit frommem Schauder ein.

Nichts regt sich um ihn her, nur Schwärme

Von Kranichen begleiten ihn,

Die fernhin nach des Südens Wärme

In graulichtem Geschwader ziehn.


»Seid mir gegrüßt, befreundte Scharen!

Die mir zur See Begleiter waren,

Zum guten Zeichen nehm ich euch,

Mein Los, es ist dem euren gleich.

Von fernher kommen wir gezogen

Und flehen um ein wirtlich Dach.

Sei uns der Gastliche7 gewogen,

Der von dem Fremdling wehrt die Schmach!«


Und munter fördert er die Schritte

Und sieht sich in des Waldes Mitte,

Da sperren, auf gedrangem8 Steg,

Zwei Mörder plötzlich seinen Weg.

Zum Kampfe muß er sich bereiten,

Doch bald ermattet sinkt die Hand,

Sie hat der Leier zarte Saiten,

Doch nie des Bogens Kraft gespannt.


Er ruft die Menschen an, die Götter,

Sein Flehen dringt zu keinem Retter,

Wie weit er auch die Stimme schickt,

Nichts Lebendes wird hier erblickt.

»So muß ich hier verlassen sterben,

Auf fremdem Boden, unbeweint,

Durch böser Buben Hand verderben,

Wo auch kein Rächer mir erscheint!«


Und schwer getroffen sinkt er nieder,

Da rauscht der Kraniche Gefieder,

Er hört, schon kann er nicht mehr sehn,

Die nahen Stimmen furchtbar krähn.

»Von euch, ihr Kraniche dort oben!

Wenn keine andre Stimme spricht,

Sei meines Mordes Klag erhoben!«

Er ruft es, und sein Auge bricht.


Der nackte Leichnam wird gefunden,

Und bald, obgleich entstellt von Wunden,

Erkennt der Gastfreund in Korinth

Die Züge, die ihm teuer sind.

»Und muß ich so dich wiederfinden,

Und hoffte mit der Fichte Kranz

Des Sängers Schläfe zu umwinden,

Bestrahlt von seines Ruhmes Glanz!«

…..

Wer zählt die Völker, nennt die Namen,

Die gastlich hier zusammenkamen?

Von Theseus‘ Stadt, von Aulis Strand,

Von Phokis, vom Spartanerland,

Von Asiens entlegner Küste,

Von allen Inseln kamen sie

Und horchen von dem Schaugerüste

Des Chores grauser Melodie,


…..

Ein schwarzer Mantel schlägt die Lenden,

Sie schwingen in entfleischten Händen

Der Fackel düsterrote Glut,

In ihren Wangen fließt kein Blut.

Und wo die Haare lieblich flattern,

Um Menschenstirnen freundlich wehn,

Da sieht man Schlangen hier und Nattern

Die giftgeschwollnen Bäuche blähn.


Und schauerlich gedreht im Kreise

Beginnen sie des Hymnus Weise,

er durch das Herz zerreißend dringt,

Die Bande um den Sünder schlingt.

Besinnungraubend, herzbetörend

Schallt der Erinnyen Gesang,

Er schallt, des Hörers Mark verzehrend,

Und duldet nicht der Leier Klang:


…..

So singend, tanzen sie den Reigen,

Und Stille wie des Todes Schweigen

Liegt überm ganzen Hause schwer,

Als ob die Gottheit nahe wär.

Und feierlich, nach alter Sitte

Umwandelnd des Theaters Rund

Mit langsam abgemeßnem Schritte,

Verschwinden sie im Hintergrund.


und zwischen Trug und Wahrheit schwebet

Noch zweifelnd jede Brust und bebet

Und huldiget der furchtbarn Macht,

Die richtend im Verborgnen wacht,

Die unerforschlich, unergründet

Des Schicksals dunkeln Knäuel flicht,

Dem tiefen Herzen sich verkündet,

Doch fliehet vor dem Sonnenlicht.


…..

Doch dem war kaum das Wort entfahren,

Möcht ers im Busen gern bewahren;

Umsonst, der schreckenbleiche Mund

Macht schnell die Schuldbewußten kund.

Man reißt und schleppt sie vor den Richter,

Die Szene wird zum Tribunal,

Und es gestehn die Bösewichter,

Getroffen von der Rache Strahl.