Download document

KERNER, Justinus



Frage


Wärst du nicht, heil’ger Abendschein!

Wärst du nicht, sternerhellte Nacht!

Du Blütenschmuck! Du üpp’ger Hain!

Und du, Gebirg’ voll ernster Pracht!

Du Vogelsang aus Himmeln hoch!

Du Lied aus voller Menschenbrust,

Wärst du nicht, ach, was füllte noch

In arger Zeit ein Herz mit Lust?


Wer machte dich so krank?


Dass du so krank geworden,

Wer hat es denn gemacht?

Kein kühler Hauch aus Norden

Und keine Sternennacht.


Kein Schatten unter Bäumen,

Nicht Glut des Sonnenstrahls,

Kein Schlummern und kein Träumen

Im Blütenbett des Tals.


Dass ich trag’ Todeswunden,

Das ist der Menschen Tun;

Natur liess mich gesunden,

Sie lassen mich nicht ruhn.


Wanderung


Wohlauf und frisch gewandert

Ins unbekannte Land!

Zerrissen, ach zerrissen,

Ist manches teure Band.


Ihr heimatlichen Kreuze,

Wo ich oft betend lag,

Ihr Bäume, ach, ihr Hügel,

O blickt mir segnend nach.


Noch schläft die weite Erde,

Kein Vogel weckt den Hain,

Doch bin ich nicht verlassen,

Doch bin ich nicht allein,


Denn, ach, auf meinem Herzen

Trag’ ich ihr teures Pfand,

Ich fühl’s, und Erd und Himmel

Sind innig mir verwandt.


Abschied


Geh' ich einsam durch die schwarzen Gassen,

Schweigt die Stadt, als wär' sie unbewohnt,

Aus der Ferne rauschen nur die Wasser,

Und am Himmel zieht der bleiche Mond.


Bleib' ich lang vor jenem Hause stehen,

Drin das liebe, liebe Liebchen wohnt,

Weiß nicht, daß sein Treuer ferne ziehet,

Stumm und harmvoll, wie der bleiche Mond.


Breit' ich lange sehnend meine Arme

Nach dem lieben, lieben Liebchen aus,

Und nun sprech' ich: »Lebet wohl, ihr Gassen!

Lebe wohl, du stilles, stilles Haus!


Und du Kämmerlein im Haus dort oben,

Nach dem oft das warme Herze schwoll,

Und du Fensterlein, draus Liebchen schaute,

Und du Türe, draus sie ging, leb' wohl!«


Geh' ich bang nun nach den alten Mauern,

Schauend rückwärts oft mit nassem Blick,

Schließt der Wächter hinter mir die Tore,

Weiß nicht, daß mein Herze noch zurück.



Dort unten in der Mühle

Dort unten in der Mühle

saß ich in guter Ruh

und sah dem Räderspiele

und sah den Wassern zu;

und sah dem Räderspiele

und sah den Wassern zu.


Sah zu der blanken Säge,

es war mir wie ein Traum,

die bahnte lange Wege

in einen Tannenbaum.


Die Tanne war wie lebend:

In Trauermelodie,

durch alle Fasern bebend,

sang diese Worte sie:


Du kehrst zur rechten Stunde,

o Wanderer, hier ein;

du bists, für den die Wunde

mir dringt ins Herz hinein.


Du bists, für den wir werden,

wenn kurz gewandert du,

dies Holz im Schoß der Erden

ein Schrein zur langen Ruh.


Vier Bretter sah ich fallen,

mir ward's um's Herze schwer;

ein Wörtlein wollt ich lallen,

da ging das Rad nicht mehr.



Der Geiger zu Gmünd


Einst ein Kirchlein sondergleichen,

Noch ein Stein von ihm steht da,

Baute Gmünd der sangesreichen

Heiligen Cäcilia.


Lilien von Silber glänzten

Ob der Heil'gen mondenklar,

Hell wie Morgenrot bekränzten

Goldne Rosen den Altar.


Schuh' aus reinem Gold geschlagen

Und von Silber hell ein Kleid

Hat die Heilige getragen:

Denn da war's noch gute Zeit,


Zeit, wo überm fernen Meere,

Nicht nur in der Heimat Land,

Man der Gmündschen Künstler Ehre

Hell in Gold und Silber fand.


Und der fremden Pilger wallten

Zu Cäcilias Kirchlein viel;

Ungesehn woher, erschallten

Drin Gesang und Orgelspiel.


Einst ein Geiger kam gegangen,

Ach, den drückte große Not,

Matte Beine, bleiche Wangen,

Und im Sack kein Geld, kein Brot.


Vor dem Bild hat er gesungen

Und gespielet all sein Leid,

Hat der Heil'gen Herz durchdrungen:

Horch! melodisch rauscht ihr Kleid!


Lächelnd bückt das Bild sich nieder

Aus der lebenlosen Ruh',

Wirft dem armen Sohn der Lieder

Hin den rechten goldnen Schuh.


Nach des nächsten Goldschmieds Hause

Eilt er, ganz vom Glück berauscht,

Singt und träumt vom besten Schmause,

Wenn der Schuh um Geld vertauscht.


Aber kaum den Schuh ersehen,

Führt der Goldschmied rauhen Ton,

Und zum Richter wird mit Schmähen

Wild geschleppt des Liedes Sohn.


Bald ist der Prozeß geschlichtet,

Allen ist es offenbar,

Daß das Wunder nur erdichtet,

Er der frechste Räuber war.

Weh! du armer Sohn der Lieder

Sangest wohl den letzten Sang!

An dem Galgen auf und nieder

Sollst, ein Vogel, fliegen bang.


Hell ein Glöcklein hört man schallen,

Und man sieht den schwarzen Zug

Mit dir zu der Stätte wallen,

Wo beginnen soll dein Flug.


Bußgesänge hört man singen

Nonnen und der Mönche Chor,

Aber hell auch hört man dringen

Geigentöne draus hervor.


Seine Geige mitzuführen,

War des Geigers letzte Bitt'.

»Wo so viele musizieren,

Musizier' ich Geiger mit!«


An Cäcilias Kapelle

Jetzt der Zug vorüberkam,

Nach des offnen Kirchleins Schwelle

Geigt er recht in tiefem Gram.


Und wer kurz ihn noch gehasset,

Seufzt: »Das arme Geigerlein!«

»Eins noch bitt' ich«, singt er, »lasset

Mich zur Heil'gen noch hinein!«


Man gewährt ihm; vor dem Bilde

Geigt er abermals sein Leid

Und er rührt die Himmlischmilde:

Horch! melodisch rauscht ihr Kleid!


Lächelnd bückt das Bild sich nieder

Aus der lebenlosen Ruh',

Wirft dem armen Sohn der Lieder

Hin den zweiten goldnen Schuh.


Voll Erstaunen steht die Menge,

Und es sieht nun jeder Christ,

Wie der Mann der Volksgesänge

Selbst der Heil'gen teuer ist.


Schön geschmückt mit Bändern, Kränzen,

Wohl gestärkt mit Geld und Wein,

Führen sie zu Sang und Tänzen

In das Rathaus ihn hinein.


Alle Unbill wird vergessen,

Schön zum Fest erhellt das Haus,

Und der Geiger ist gesessen

Obenan beim lust'gen Schmaus.


Aber als sie voll vom Weine,

Nimmt er seine Schuh zur Hand,

Wandert so im Mondenscheine

Lustig in ein andres Land.


Seitdem wird zu Gmünd empfangen

Liebreich jedes Geigerlein,

Kommt es noch so arm gegangen –

Und es muß getanzet sein.


Drum auch hört man geigen, singen,

Tanzen dort ohn' Unterlaß,

Und wem alle Saiten springen,

Klingt noch mit dem leeren Glas.


Und wenn bald ringsum verhallen

Becherklingeln, Tanz und Sang,

Wird zu Gmünd noch immer schallen

Selbst aus Trümmern lust'ger Klang.