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SCHNITZLER, Arthur



Traumnovelle

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Ein Gartentor stand weit offen. Die Trauerkutsche vor ihm fuhr eben tiefer in die Schlucht hinab oder in das Dunkel, das ihm so erschien. Nachtigall war also jedenfalls schon ausgestiegen. Fridolin sprang rasch aus dem Wagen, wies den Kutscher an, oben an jener Biegung seine Rückkehr abzuwarten, solange es auch dauern sollte. Und um sich seiner zu versichern, entlohnte er ihn im vorhinein reichlich und versprach ihm einen gleichen Betrag für die Rückfahrt. Die Wagen, die dem seinen gefolgt waren, kamen angefahren. Aus dem ersten sah Fridolin eine verhüllte Frauengestalt steigen; dann trat er in den Garten, nahm die Larve vor, ein schmaler, vom Hause her beleuchteter Pfad führte bis zum Tor, zwei Flügel sprangen auf, und Fridolin befand sich in einer schmalen weißen Vorhalle. Harmoniumklänge tönten ihm entgegen, zwei Diener in dunkler Livree, die Gesichter grau verlarvt, standen rechts und links.

„Parole?“ umflüsterte es ihn zweistimmig. Und er erwiderte: „Dänemark.“ Der eine Diener nahm seinen Pelz in Empfang und verschwand damit in einem Nebenraum, der andere öffnete eine Tür, und Fridolin trat in einen dämmerigen, fast dunklen hohen Saal, der ringsum von schwarzer Seide umhängen war. Masken, durchaus in geistlicher Tracht, schritten auf und ab, sechzehn bis zwanzig Personen, Mönche und Nonnen. Die Harmoniumklänge, sanft anschwellend, eine italienische Kirchenmelodie, schienen aus der Höhe herabzutönen. In einem Winkel des Saales stand eine kleine Gruppe, drei Nonnen und zwei Mönche; von dort aus hatte man sich flüchtig zu ihm hin und gleich wieder, wie mit Absicht, abgewandt. Fridolin merkte, daß er als einziger das Haupt bedeckt hatte, nahm den Pilgerhut ab und wandelte so harmlos als möglich auf und nieder; ein Mönch streifte seinen Arm und nickte einen Gruß; doch hinter der Maske bohrte sich ein Blick, eine Sekunde lang, tief in Fridolins Augen. Ein fremdartiger, schwüler Wohlgeruch, wie von südländischen Gärten, umfing ihn. Wieder streifte ihn ein Arm. Diesmal war es der einer Nonne. Wie die andern hatte auch sie um Stirn, Haupt und Nacken einen schwarzen Schleier geschlungen, unter den schwarzen Seidenspitzen der Larve leuchtete ein blutroter Mund. Wo bin ich? dachte Fridolin. Unter Irrsinnigen? Unter Verschwörern? Bin ich in die Versammlung irgendeiner religiösen Sekte geraten? War Nachtigall vielleicht beordert, bezahlt, irgendeinen Uneingeweihten mitzubringen, den man zum besten haben wollte? Doch für einen Maskenscherz schien ihm alles zu ernst, zu eintönig, zu unheimlich. Den Harmoniumklängen hatte sich eine weibliche Stimme beigesellt, eine altitalienische geistliche Arie tönte durch den Raum. Alle standen still, schienen zu lauschen, auch Fridolin gab sich für eine Weile der wundervoll anschwellenden Melodie gefangen. Plötzlich flüsterte eine weibliche Stimme hinter ihm: „Wenden Sie sich nicht nach mir um. Noch ist es Zeit, daß Sie sich entfernen. Sie gehören nicht hierher. Wenn man es entdeckte, erginge es Ihnen schlimm.“

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Fräulein Else

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Oder ich such' mir einen aus heute Abend beim Diner. Es ist ja alles egal. Aber ich kann doch nicht jedem sagen, dass ich dreißigtausend Gulden dafür haben will! Da wäre ich ja wie ein Frauenzimmer von der Kärtnerstraße. Nein, ich verkaufe mich nicht. Niemals. Nie werde ich mich verkaufen. Ich schenke mich her. Ja, wenn ich einmal den Rechten finde, schenke ich mich her. Aber ich verkaufe mich nicht. Ein Luder will ich sein, aber nicht eine Dirne.

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Aber so war es bequemer und sicherer, nicht wahr, Papa? Wenn man eine so hübsche Tochter hat, wozu braucht man ins Zuchthaus zu spazieren? Und die Mama, dumm wie sie ist, setzt sich hin und schreibt den Brief.

Du sollst deine fünfzigtausend Gulden haben, Papa. Aber die nächsten, die ich mir verdiene, um die kaufe ich mir neue Nachthemden mit Spitzen besetzt, ganz durchsichtig, und köstliche Seidenstrümpfe. Man lebt nur einmal.

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Wenn ich ihm nur irgendwie die Freude verderben könnte. Wenn noch einer dabei wäre? Warum nicht? Er hat ja nicht gesagt, dass er mit mir allein sein muss. [...] Wenn es mir beliebte, dürfte ich das ganze Hotel dazu einladen.

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Nein, nein, ich ziehe mich schon hier aus und nehme den großen schwarzen Mantel um, der mich ganz einhüllt.

Ich werde auch nicht zu Herrn von Dorsday ins Zimmer gehen. Fällt mir gar nicht ein. Ich werde mich doch nicht um fünfzigtausend Gulden nackt hinstellen vor einen alten Lebemann, um einen Lumpen vor dem Kriminal zu retten. Nein, nein, entweder oder. Wie kommt denn der Herr von Dorsday dazu? Gerade der? Wenn einer mich sieht, dann sollen mich auch andere sehen. Ja! – Herrlicher Gedanke! – Alle sollen sie mich sehen. Die ganze Welt soll mich sehen.

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Leutnant Gustl

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Herrgott, ist das ein Gedränge bei der Garderobe! … Warten wir lieber noch ein bissel … So! Ob der Blöd ist meine Nummer nehmen möcht'? … "Sie, zweihundertvierundzwanzig! Da hängt er! Na, hab'n Sie keine Augen? Da hängt er! Na, Gott sei Dank! … Also bitte?" … Der Dicke da verstellt einem schier die ganze Garderobe … Bitte sehr!" …

"Geduld, Geduld!"

Was sagt der Kerl?

"Nur ein bissel Geduld!"

Dem muss ich doch antworten … "Machen Sie doch Platz!"

"Na, Sie werden 's auch nicht versäumen!"

Was sagt er da? Sagt er das zu mir? Das ist doch stark! Das darf ich mir nicht gefallen lassen! "Ruhig!"

"Was meinen Sie?"

Ah. so ein Ton? Da hört sich doch alles auf!

"Stoßen Sie nicht!"

"Sie, halten Sie das Maul!" Das hätt' ich nicht sagen sollen, ch war zu grob … Na jetzt ist's schon g'scheh'n!

"Wie meinen?"

Jetzt dreht er sich um … Den kenn ich, ja! - Donnerwetter, das ist ja der Bäckermeister, der immer ins Kaffeehaus kommt … Was macht denn der da? Hat sicher auch eine Tochter oder so was bei der Singakademie … Ja, was ist denn das? Ja, was macht er denn? Mir scheint gar … ja, meiner Seel', er hat den Griff von meinem Säbel in der Hand … Ja, ist der Kerl verrückt? … "Sie, Herr…"

"Sie, Herr Leutnant, sein S' jetzt ganz stad."

Was sagt er da? Um Gottes willen, es hat's doch keiner gehört? Nein, erred't ganz leise … Ja, warum lasst er denn meinen Säbel net aus? … Herrgott noch einmal … Ah, da heißt 's rabiat sein … ich bring' seine Hand vom Griff nicht weg … nur keinen Skandal jetzt! … Ist nicht am End' der Major hinter mir? … Bemerkt 's nur niemand, dass er den Griff von meinem Säbel hält? Er red't ja zu mir! Was red't er denn? "Herr Leutnant, wenn Sie das geringste Aufsehen machen, so zieh' ich den Säbel aus der Scheide, zerbrech' ihn und schick' die Stück an Ihr Regimentskommando. Versteh'n Sie mich, Sie dummer Bub'?" Was hat er g'sagt? Mir scheint, ich träum'! Red't er wirklich zu mir? Ich sollt' was antworten … Aber der Kerl macht ja Ernst - der zieht wirklich den Säbelheraus. Herrgott - er tut's! … Ich spür's, er reißt schon dran. Was red't er denn? … Um Gottes willen, nur kein' Skandal - - Was red't er denn noch immer?

"Aber ich will Ihnen die Karriere nicht verderben … Also, schönbrav sein! … So, hab'n S' keine Angst, s' hat niemand was gehört … es ist schon alles gut … so! Und damit keiner glaubt, dass wir uns gestritten haben, werd' ich jetzt sehr freundlich mit Ihnen sein! – Habe die Ehre, Herr Leutnant, hat mich sehr gefreut ? habe die Ehre."

Um Gottes willen, hab' ich geträumt? … Hat er das wirklich gesagt? … Wo ist er denn? … Da geht er … Ich müsst' ja den Säbel ziehen und ihn zusammenhauen --

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