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MOERS, Walter



Die Stadt der Träumende Bücher

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Man darf mich getrost für größenwahnsinnig erklären, wenn ich behaupte, dass ich zu jener Zeit, als diese Geschichte begann, schon der größte Dichter Zamoniens war. Wie soll man einen Schriftsteller sonst nennen, dessen Bücher in Fässern in die Buchhandlungen gerollt werden? Der als jüngster zamonischer Künstler den Valtrosem-Orden erhalten hat? Dem man vor der Gralsunder Universität für Zamonische Dichtung ein Denkmal aus feuervergoldetem Gusseisen errichtet hat?

In jeder größeren zamonischen Stadt war eine Straße nach mir benannt. Es gab Buchhandlungen, die ausschließlich meine Werke führten – und die gesamte Sekundärliteratur dazu. Meine Anhänger hatten einige - tragene Vereine gegründet, in denen sich die Mitglieder mit Namen von Gestalten aus meinen Büchern ansprachen. Einen Mythenmetz hinlegen war eine volksmündliche Umschreibung dafür, in einem künstlerischen Beruf eine einzigartige Karriere gemacht zu haben. Ich konnte keine belebte Straße entlanggehen, ohne einen Volksauflauf zu verursachen. Keinen Buchladen betreten, ohne bei den anwesenden Buchhändlerinnen Ohnmachtsanfälle auszulösen. Kein Buch schreiben, das nicht umgehend zum Klassiker erklärt wurde.

Kurzum: Ich war zu einem von Literaturpreisen und Publikumsgunst verhätschelten Popanz verkommen, dem jede Fähigkeit zur Selbstkritik und nahezu alle natürlichen künstlerischen Instinkte abhanden gekommen waren. Einer, der nur noch sich selbst zitierte und die eigenen Werke kopierte, ohne es zu bemerken. Wie eine schleichende Geisteskrankheit, die vom Patienten selber nicht erkannt wird, hatte mich der Erfolg ereilt und völlig verseucht. Ich war so sehr damit beschäftigt, mich in meinem Ruhm zu suhlen, ich nahm nicht einmal wahr, dass mich das Orm schon lange nicht mehr durchströmte.

Habe ich in dieser Zeit überhaupt etwas von Bedeutung geschrieben?

Ich wüsste nicht, wann ich das hätte tun sollen. Die meiste Zeit verplemperte ich doch damit, in Buchhandlungen, Theatern oder auf Literaturseminaren mit selbstverliebtem Singsang aus meinen eigenen Werken vorzutragen, um mich danach am Applaus zu berauschen, herablassend mit Verehrern zu plaudern und stundenlang zu signieren. Was ich, oh meine treuen Freunde, damals für den Gipfel meiner Lauf bahn hielt, markierte in Wirklichkeit ihren absoluten Tiefpunkt. Schon längst konnte ich nicht mehr anonym durch eine Stadt streifen und unbehelligt für meine Arbeit recherchieren. Überall umringten mich sogleich Scharen von Verehrern, die mich um Autogramme, künstlerische Ratschläge oder meinen Segenanflehten. Selbst auf den Landstraßen folgten mir Pilgerscharen von fanatischen Lesern, die Augenzeugen sein wollten, wenn mich das Orm überkam.

Dies geschah aber erst immer seltener, dann gar nicht mehr – und ich bemerkte es nicht einmal. Denn um ehrlich zu sein, zu dieser Zeit konnte ich einen Ormrausch von einem Weinsuff kaum unterscheiden.

Es war eine Flucht vor dieser ins Monströse gewachsenen Popularität, vor meinem bizarren Erfolg und meinen verrückten Verehrern, als ich mich entschloss, nach langen Jahren der ruhelosen Wanderschaft und etlichen Abenteuern für eine Weile auf die Lindwurmfeste zurückzukehren, um mich dort ein wenig auf meinen Lorbeeren auszuruhen. Ich bezog wieder das kleine Haus, welches ich von meinem Dichtpaten Danzelot von Silbendrechsler geerbt hatte. Auch darum – sehen wir der Sache ins Gesicht, meine geliebten Freunde –, der Öffentlichkeit und meinen Artgenossen auf der Feste eine Rückkehr zu meinen Wurzeln vorzutäuschen: Auf dem Zenit seiner Karriere kehrt der verlorene Sohn heim, um unter bescheidensten Verhältnissen demütig sein titanisches Werk fortzusetzen, im beengten Häuschen seines über alles geliebten Dichtpaten.

Nichts war weiter von der Wahrheit entfernt. Niemand in ganz Zamonien hatte zu dieser Zeit weniger Bodenhaftung als ich. Und niemand lebte dekadenter und zielloser in den Tag hinein, ohne sich um seine kulturelle Aufgabe und dichterische Disziplin zu scheren. Die Lindwurmfeste war schlicht der einzige Ort, der mir perfekten Schutz vor meiner Popularität bot. Immer noch waren hier außer Lindwürmern keine anderen Daseinsformen zugelassen. Nur hier konnte ich ein Künstler unter lauter Künst-

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