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KALEKO, Mascha


Großstadtliebe


Man lernt sich irgendwo ganz flüchtig kennen

Und gibt sich irgendwann ein Rendezvous.

Ein Irgendwas, – ’s ist nicht genau zu nennen –

Verführt dazu, sich gar nicht mehr zu trennen.

Beim zweiten Himbeereis sagt man sich ›du‹.


Man hat sich lieb und ahnt im Grau der Tage

Das Leuchten froher Abendstunden schon.

Man teilt die Alltagssorgen und die Plage,

Man teilt die Freuden der Gehaltszulage,

… Das übrige besorgt das Telephon.


Man trifft sich im Gewühl der Großstadtstraßen.

Zu Hause geht es nicht. Man wohnt möbliert.

– Durch das Gewirr von Lärm und Autorasen,

– Vorbei am Klatsch der Tanten und der Basen

Geht man zu zweien still und unberührt.


Man küßt sich dann und wann auf stillen Bänken,

– Beziehungsweise auf dem Paddelboot.

Erotik muß auf Sonntag sich beschränken.

… Wer denkt daran, an später noch zu denken?

Man spricht konkret und wird nur selten rot.


Man schenkt sich keine Rosen und Narzissen,

Und schickt auch keinen Pagen sich ins Haus.

– Hat man genug von Weekendfahrt und Küssen,

Läßt mans einander durch die Reichspost wissen

Per Stenographenschrift ein Wörtchen: ›aus‹!


Langschläfers Morgenlied


Der Wecker surrt. Das alberne Geknatter

Reißt mir das schönste Stück des Traums entzwei.

Ein fleißig Radio übt schon sein Geschnatter.

Pitt äußert, daß es Zeit zum Aufstehn sei.


Mir ist vor Frühaufstehern immer bange.

… Das können keine wackern Männer sein:

Ein guter Mensch schläft meistens gern und lange.

– Ich bild mir diesbezüglich etwas ein …


Das mit der goldgeschmückten Morgenstunde

Hat sicher nur das Lesebuch erdacht.

Ich ruhe sanft. – Aus einem kühlen Grunde:

Ich hab mir niemals was aus Gold gemacht.


Der Wecker surrt. Pitt malt in düstern Sätzen

Der Faulheit Wirkung auf den Lebenslauf.

Durchs Fenster hört man schon die Autos hetzen.

– Ein warmes Bett ist nicht zu unterschätzen.

… Und dennoch steht man alle Morgen auf.


Letztes Lied

Ich werde fortgehn, Kind.

Doch Du sollst leben

und heiter sein.

In meinem jungen Herzen

brannte das goldene Licht.

Das hab´ich Dir gegeben.

Und nun verlöschen meine Abendkerzen.

Das Fest ist aus,

der Geigenton verklungen.

Gesprochen ist das letzte Wort.

Bald schweigt auch sie,

die dieses Lied gesungen.

Sing Du es weiter, Kind,

denn ich muss fort.

Den Becher trank ich leer,

im raschen Zug.

Und weiß,wer davon kostet,

muss sterben.

Du aber, Kind,

sollst erben.

Und all den Segen,

den es in sich trug.

Mir war das Leben

wie ein Wunderbaum

von dem in Sommernächten Psalmen tönen.

Nun sind die Tage

wie ein geträumter Traum.

Und alle meine Nächte,

alle Tränen.

Und war es froh.

Mein Herz war so bereit.

Und Gott war gut.

Nun nimmt er alle Gaben.

In Deiner Seele, Kind,

kommt einst die Zeit.

Soll, was ich nicht erlebt,

Erfüllung haben.

Ich werde still sein,

doch mein Lied geht weiter.

Gib Du ihm Deinen klaren, reinen Ton.

Du sei ein großer Mann,

mein kleiner Sohn.

Ich bin so müde,

aber Du sei heiter.


Sozusagen grundlos vergnügt

Ich freu mich, daß am Himmel Wolken ziehen

Und daß es regnet, hagelt, friert und schneit.

Ich freu mich auch zur grünen Jahreszeit,

Wenn Heckenrosen und Holunder blühen.

– Daß Amseln flöten und daß Immen summen,

Daß Mücken stechen und daß Brummer brummen.

Daß rote Luftballons ins Blaue steigen.

Daß Spatzen schwatzen. Und daß Fische schweigen.

Ich freu mich, daß der Mond am Himmel steht

Und daß die Sonne täglich neu aufgeht.

Daß Herbst dem Sommer folgt und Lenz dem Winter,

Gefällt mir wohl. Da steckt ein Sinn dahinter,

Wenn auch die Neunmalklugen ihn nicht sehn.

Man kann nicht alles mit dem Kopf verstehn!

Ich freue mich. Das ist des Lebens Sinn.

Ich freue mich vor allem, daß ich bin.

In mir ist alles aufgeräumt und heiter:

Die Diele blitzt. Das Feuer ist geschürt.

An solchem Tag erklettert man die Leiter,

Die von der Erde in den Himmel führt.

Da kann der Mensch, wie es ihm vorgeschrieben,

– Weil er sich selber liebt – den Nächsten lieben.

Ich freue mich, daß ich mich an das Schöne

Und an das Wunder niemals ganz gewöhne.

Daß alles so erstaunlich bleibt, und neu!

Ich freu mich, daß ich . . . Daß ich mich freu.




Blatt im Wind

Laß mich das Pochen deines Herzens spüren,

Daß ich nicht höre, wie das meine schlägt.

Tu vor mir auf all die geheimen Türen,

Da sich ein Riegel vor die meinen legt.

Ich kann es, Liebster, nicht in Worte bekennen,

Und meine Tränen bleiben ungeweint,

Die Macht, die uns von Anbeginn vereint,

Wird uns am letzten aller Tage trennen.

All mein Schmerz ertränke ich in Küssen.

All mein Geheimnis trag ich wie ein Kind.

Ich bin ein Blatt, zu früh vom Baum gerissen.
Ob alle Liebenden so einsam sind?



Blad in de wind


Laat me luisteren naar 't bonzen van je hart

zodat ik het mijne niet hoor slaan.

Maak al de geheime deuren voor me open,

want mijn deur is op slot gegaan.


‘t Met woorden zeggen, liefste, kan ik niet,

en mijn tranen blijven ongeschreid,

tot de kracht die ons vanaf ‘t begin verbindt,

ons op de laatste aller dagen scheidt.


Al mijn geheimen draag ik als een kind.

Met kussen verdrink ik al mijn pijn,

Ik ben een blad, te vroeg van de boom gerukt.

En of nu alle geliefden zo eenzaam zijn?


(Vertaling: Z. DE MEESTER)




Die Zeit steht still

Die Zeit steht still. Wir sind es, die vergehen.

Und doch, wenn wir im Zug vorüberwehen,

Scheint Haus und Feld und Herden, die da grasen,

Wie ein Phantom an uns vorbeizurasen.

Da winkt uns wer und schwindet wie im Traum,

Mit Haus und Feld, Laternenpfahl und Baum.

So weht wohl auch die Landschaft unsres Lebens

An uns vorbei zu einem andern Stern

Und ist im Nahekommen uns schon fern.

Sie anzuhalten suchen wir vergebens

Und wissen wohl, dies alles ist nur Trug. de

Die Landschaft bleibt, indessen unser Zug

Zurücklegt die ihm zugemeßnen Meilen.

Die Zeit steht still. Wir sind es, die enteilen.



Abschied

Jetzt bist du fort. Dein Zug ging neun Uhr sieben.

Ich hielt dich nicht zürück. Nun tut’s mir leid.

– Von dir ist weiter nichts zürückgeblieben

Als ein paar Fotos und die Einsamkeit.


Nun hör ich leis von fern den D-Zug pfeifen.

Ich ein paar Stunden hält er in Polzin.

Mich ließest du allein in Groß-Berlin,

Nun werde ich durch laute Straßen streifen


Und mißvergnügt in mein Möbliertes gehen,

Das mir für dreißig Mark Zuhause ist,

Und warten, daß ein Brief von dir mich grüßt,

Und abends manchmal nach der Türe sehen.


… Ich kenn das schon. Und weiß, es wird mir fehlen,

Daß du um sechs nicht vor dem Bahnhof bist.

Wemm soll ich, was am Tag geschehen ist,

Und von dem Ärger im Büro erzählen?

Jetzt, da du forst bist, scheint mir alles trübe.

Hätt ichs geahnt, iche ließe dich nicht gehn.

Was wir vermissen, scheint uns immer schön.

Woran das liegen mag – Ist das nun Liebe?


Das regnet heut! Man glaubt beinah zu spüren,

Wies Thermometer mit der Stimmung fällt.

Frau Meilich hat die Heizung abgestellt,

Und irgendwo im Hause klappern Türen.


Jetzt sitz ich ohne dich in meinem Zimmer

Und trink den dünnem Kaffee ganz allein.

– Ich weiß, das wird jetzt manches Mal so sein.

Sehr oft vielleicht … Bezieungsweise: immer.



Rezept


Jage die Ängste fort

Und die Angst vor den Ängsten.

Für die paar Jahre

Wird wohl alles noch reichen.

Das Brot im Kasten

Und der Anzug im Schrank.


Sage nicht mein.

Es ist dir alles geliehen.

Lebe auf Zeit und sieh,

Wie wenig du brauchst.

Richte dich ein.

Und halte den Koffer bereit.


Es ist wahr, was sie sagen:

Was kommen muß, kommt.

Geh dem Leid nicht entgegen.

Und ist es da,

Sieh ihm still ins Gesicht.

Es ist vergänglich wie Glück.


Erwarte nichts.

Und hüte besorgt dein Geheimnis.

Auch der Bruder verrät,

Geht es um dich oder ihn.

Den eignen Schatten nimm

Zum Weggefährten.


Feg deine Stube wohl.

Und tausche den Gruß mit dem Nachbarn.

Flicke heiter den Zaun

Und auch die Glocke am Tor.

Die Wunde in dir halte wach

Unter dem Dach im Einstweilen.


Zerreiß deine Pläne. Sei klug

Und halte dich an Wunder.

Sie sind lang schon verzeichnet

Im grossen Plan.

Jage die Ängste fort

Und die Angst vor den Ängsten.


An mein Kind

Dir will ich meines Liebsten Augen geben

und seiner Seele flammenreines Glühn.

Ein Träumer wirst du sein und dennoch kühn

verschloßne Tore aus den Angeln heben.

Wirst ausziehn, das gelobte Glück zu schmieden.

Dein Weg ist frei. Denn aller Weisheit Schluß

bleibt doch zuletzt, daß jedermann hienieden

all seine Fehler selbst begehen muß.

Ich kann vor keinem Abgrund dich bewahren.

hoch in die Wolken hängte Gott den Kranz.

Nur eines nimm von dem, was ich erfahren:

Wer du auch seist, nur eines - sei es ganz!

Du bist, vergiß es nicht, von jenem Baume,

der ewig zweigte und nie Wurzel schlug.

Der Freheit Fackel leuchtet uns im Traume -

bewahr den Tropfen Öl im alten Krug!