Download document












HUCHEL, Peter


Herbst der Bettler


Das spröde Holz am Brombeerzaun

trug auswärts Früchte viel,

ganz erdige, von Sonne braun

und Regen innen kühl.


Die nachts auf blachem Felde ruhn,

sie kämmten aus das Laub,

eh sie auf drahtgeflickten Schuhn

fortzogen unterm Staub.


Oktoberbüsche, kahl und naß,

verfaulter Nüsse Riß,

im rauhreifübereisten Gras

des Nebels kalter Biß!


Wie eine Wabe, ausgeleert,

die Sonnenblume starrt.

Der Wind, der durch die Dornen fährt,

klirrt wie ein Messer hart.


Die Magd


Wenn laut die schwarzen Hähne krähn,

vom Dorf her Rauch und Klöppel wehn,

rauscht ins Geläut rehbraun der Wald,

ruft mich die Magd, die Vesper hallt.


Klaubholz hat sie im Wald geknackt,

die Kiepe mit Kienzapf gepackt.

Sie hockt mich auf und schürzt sich kurz,

schwankt barfuß durch den Stoppelsturz.


Im Acker knarrt die späte Fuhr.

Die Nacht pecht schwarz die Wagenspur.

Die Geiß, die zottig mit uns streift,

im Bärlapp voll die Zitze schleift.


Ein Nußblatt wegs die Magd zerreibt,

daß grün der Duft im Haar mir bleibt.

Riedgras saust grau, Beifuß und Kolk.

Im Dorf kruht müd das Hühnervolk.


Schon klinkt sie auf das dunkle Tor.

Wir tappen in die Kammer vor,

wo mir die Magd, eh sie sich labt,

das Brot brockt und den Apfel schabt.


Ich frier, nimm mich ins Schultertuch.

Warm schlaf ich da im Milchgeruch.

Die Magd ist mehr als Mutter noch.

Sie kocht mir Brei im Kachelloch.


Wenn sie mich kämmt, den Brei durchsiebt,

die Kruke heiß ins Bett mir schiebt,

schlägt laut mein Herz und ist bewohnt

ganz von der Magd im vollen Mond.


Sie wärmt mein Hemd, küßt mein Gesicht

und strickt weiß im Petroleumlicht.

Ihr Strickzeug klirrt und blitzt dabei,

sie murmelt leis Wahrsagerei.


Im Stroh die schwarzen Hähne krähn.

Im Tischkreis Salz und Brot verwehn.

Der Docht verraucht, die Uhr schlägt alt.

Und rehbraun rauscht im Schlaf der Wald.


Exil


Am Abend nahen die Freunde,

Die Schatten der Hügel.

Sie treten langsam über die Schwelle,

Verdunkeln das Salz,

Verdunkeln das Brot

Und führen Gespräche mit meinem Schweigen.


Draußen im Ahorn

Regt sich der Wind:

Meine Schwester, das Regenwasser

In kalkiger Mulde,

Gefangen

Blickt sie den Wolken nach.


Geh mit dem Wind,

Sagen die Schatten.

Der Sommer legt dir

Die eiserne Sichel aufs Herz.

Geh fort, bevor im Ahornblatt

Das Stigma des Herbstes brennt.


Sei getreu, sagt der Stein.

Die dämmernde Frühe

Hebt an, wo Licht und Laub

Ineinander wohnen

Und das Gesicht

In einer Flamme vergeht.


Havelnacht


Hinter den ergrauten Schleusen,

nur vom Sprung der Fische laut,

schwimmen Sterne in die Reusen,

lebt der Algen Dämmerkraut.


Lebt das sanfte Sein im Wasser,

grün im Monde, unvergilbt,

wispern nachts die Büsche blasser,

rauscht das Rohr, ein Vogel schilpt.


Nah dem Geist, der nachtanbrausend

noch in seinem Flusse taucht,

in dem Schilf der Schleusen hausend,

wo der Fischer Feuer raucht:


Duft aus wieviel alten Jahren

neigt sich hier ins Wasser sacht.

Wenn wir still hinunter fahren,

weht durch uns der Trunk, der Nacht.


Die vergrünten Sterne schweben

triefend unterm Ruder vor.

Und der Wind wiegt unser Leben,

wie er Weide wiegt und Rohr.



Winterpsalm


Da ging ich bei träger Kälte des Himmels

Und ging hinab die Straße zum Fluß,

Sah ich die Mulde im Schnee,

Wo nachts der Wind

Mit flacher Schulter gelegen.

Seine gebrechliche Stimme,

In den erstarrten Ästen oben,

Stieß sich am Trugbild weißer Luft:

„Alles Verscharrte blickt mich an.

Soll ich es heben aus dem Staub

Und zeigen dem Richter? Ich schweige.

Ich will nicht Zeuge sein.“

Sein Flüstern erlosch,

Von keiner Flamme genährt.


Wohin du stürzt, o Seele,

Nicht weiß es die Nacht. Denn da ist nichts

Als vieler Wesen stumme Angst.

Der Zeuge tritt hervor. Es ist das Licht.


Ich stand auf der Brücke,

Allein vor der trägen Kälte des Himmels.

Atmet noch schwach,

Durch die Kehle des Schilfrohrs,

Der vereiste Fluß?


Begegnung

Für Michael Hamburger


Schleiereule,

Tochter des Schnees,

dem Nachtwind unterworfen,


doch Wurzeln fassend

mit den Krallen

im modrig grindigen Gemäuer,


Schnabelgesicht

mit runden Augen,

herzstarre Maske

aus Federn weißen Feuers,

das weder Zeit noch Raum berührt,


kalt weht die Nacht

ans alte Gehöft,

im Vorhof fahles Gelichter,

Schlitten, Gepäck, verschneite Laternen,


in den Töpfen Tod,

in den Krügen Gift,

das Testament an den Balken genagelt.


Das Verborgene unter

den Klauen der Felsen,

die Öffnung in die Nacht,

die Todesangst

wie stechendes Salz ins Fleisch gelegt.


Laßt uns niederfahren

in der Sprache der Engel

zu den zerbrochenen Ziegeln Babels.


Die Sternenreuse


Daß du noch schwebst, uralter Mond?

Als jung noch deine Scheibe schwebte,

hab ich an einem Fluß gewohnt,

wo nur das Wasser mit mir lebte.

Das Wasser schwoll, es war Gesang,

ich schöpfte und mein Atem lauschte,

wie es um Steine tönend sprang

und schäumend schoß und niederrauschte.


Zwei Felsen, wie betäubt von Ruß

und steil und schmal wie eine Schleuse,

umstanden damals noch den Fluß.

Im Wasser hing die Sternenreuse.

Ich hob die Reuse aus dem Spalt,

es flimmerten kristallne Räume,

es schwamm der Algen grüner Wald,

ich fischte Gold und flößte Träume.


O Schlucht der Welt, des Wassers Schwall

kam wie Gesang: war es mein Leben?

Damals sah ich im dunkeln All

ganz nah die Sternenreuse schweben.



Damals

Damals ging noch am Abend der Wind

Mit starken Schultern rüttelnd ums Haus.

Das Laub der Linde sprach mit dem Kind,

Das Gras sandte seine Seele aus.

Sterne haben den Sommer bewacht

Am Rand der Hügel, wo ich gewohnt:

Mein war die katzenäugige Nacht,

Die Grille, die unter der Schwelle schrie,

Mein war im Ginster die heilige Schlange

Mit ihren Schläfen aus milchigem Mond.

Im Hoftor manchmal das Dunkel heulte,

Der Hund schlug an, ich lauschte lange

Den Stimmen im Sturm und lehnte am Knie

Der schweigsam hockenden Klettenmarie,

Die in der Küche Wolle knäulte.

Und wenn ihr grauer schläfernder Blick mich traf,

Durchwehte die Mauer des Hauses der Schlaf.



Der Garten des Theophrast

Meinem Sohn


Wenn mittags das weiße Feuer

Der Verse über den Urnen tanzt,

Gedenke, mein Sohn. Gedenke derer,

Die einst Gespräche wie Bäume gepflanzt.

Tot ist der Garten, mein Atem wird schwerer,

Bewahre die Stunde, hier ging Theophrast,

Mit Eichenlohe zu düngen den Boden,

Die wunde Rinde zu binden mit Bast.

Ein Ölbaum spaltet das mürbe Gemäuer

Und ist noch Stimme im heißen Staub.

Sie gaben Befehl, die Wurzel zu roden.

Es sinkt dein Licht, schutzloses Laub.



Caputher Heuweg


Wo bin ich? Hier lag einst die Schoberstange.

Und schüttelnd die Mähne auf Leine und Kummet

graste die Stute am wiesigen Hange.

Denn Mittag wars. Bei Steintopf und Krug

ruhten die Mäher müde im Grummet.

Am Waldrand, wo schackernd die Elstern schrien,

stand halb in der Erde ein Mann und schlug

mit Axt und Keil aus Stubben den Kien.

Wann war dieser Sommer? Ich weiß es nicht mehr.

Doch fahren sie Grummet, der Sommer weht her

vom Heuweg der Kindheit, wo ich einst saß,

das Schicksal erwartend im hohen Gras,

den alten Zigeuner, um mit ihm zu zieh


Der Holunder

DER HOLUNDER öffnet die Monde,

alles geht ins Schweigen hinüber,

die fließenden Lichter im Bach,

das durch Wasser getriebene Planetarium des Archimedes,

astronomische Zeichen,

in den Anfängen babylonisch.


Sohn, kleiner Sohn Enkidu,

du verließest deine Mutter, die Gazelle,

deinen Vater, den Wildesel,

um mit der Hure nach Uruk zu gehen.

Die milchtragenden Ziegen flohen.

Es verdorrte die Steppe.


Hinter dem Stadttor

mit den sieben Eisenriegeln

unterwies dich Gilgamesch,

der Grenzgänger zwischen Himmel und Erde,

die Stricke des Todes zu durchhauen.


Finster brannte der Mittag auf dem Ziegelwerk,

finster lag das Gold in der Kammer des Königs.

Kehre um, Enkidu.

Was schenkte dir Gilgamesch?

Das schöne Haupt der Gazelle versank.

Der Staub schlug deine Knochen.



Das Grab des Odysseus


Niemand wird finden

das Grab des Odysseus,

kein Spatenstich den krustigen Helm

im Dunst versteinerter Knochen.


Such nicht die Höhle,

wo unter die Erde hinab

ein wehender Ruß, ein Schatten nur,

vom Pech der Fackel versehrt,

zu seinen toten Gefährten ging,

die Hände hebend waffenlos,

bespritzt mit dem Blut geschlachteter Schafe,


Mein ist alles, sagte der Staub,

das Grab der Sonne hinter der Wüste,

die Riffe voller Wassergetöse,

der endlose Mittag, der immer noch warnt

der Seeräubersohn aus Ithaka,

das Steuerruder, schartig vom Salz,

die Karten und Schiffskataloge

des alten Homer.



Rom


Vollendeter Sommer,

am äußersten Rand der Sonne

beginnt schon die Finsternis.

Lorbeerverwilderungen,

dahinter aus Disteln und Steinen

ein Versteck,

das sich der Stimme

verweigert.


Transparenz

des Mittagslichtes,

Verse, die an nichts erinnern,

ein helles Wasser

berührt den Mund.