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HAUPTMANN, Gerhart



Die Weber

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Kittelhaus (ein kleines, freundliches Männchen, tritt gemütlich plaudernd und rauchend mit dem ebenfalls rauchenden Kandidaten in das Vorderzimmer)

Es ist ja durchaus nicht zu verwundern, Herr Kandidat: Sie sind jung. In Ihrem Alter hatten wir Alten – ich will nicht sagen, dieselben Ansichten, aber doch ähnliche. Änliche jedenfalls. Und es ist ja auch was Schönes um die Jugend – um alle die schöne Ideale, Herr Kandidat. Leider nur sind sie flüchtig, flüchtig wie Aprilsonnenschein. Kommen Sie erst in meine Jahre. Wenn man erst mal dreissig Jahre, das Jahr zweiundfünzigmal – ohne die Feiertage – von der Kanzel herunter den Leuten sein Wort gesagt hat, dann ist man notwendigerweise ruhiger geworden. Denken Sie an mich, wenn es mit Ihnen soweit sein wird, Herr Kandidat.

Weinhold (neunzehnjährig, bleich, mager, hochaugeschossen, mit schlichtem, langem Blondhaar. Er ist sehr unruhig und nervös in seinen Bewegungen)

Bei aller Ehrerbietung, Herr Pastor … Ich weiss doch nicht … Es existiert doch eine grosse Verschiedenheit in den Naturen.

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Kassierer Neumann, Geld aufzählend . Bleibt sechzehn Silbergroschen, zwei Pfennig.

Erste Weberfrau, dreißigjährig, sehr abgezehrt, streicht das Geld ein mit zitternden Fingern. Sind Se bedankt.

Neumann, als die Frau stehenbleibt. Nu? stimmt's etwa wieder nich?

Erste Weberfrau, bewegt, flehentlich. A paar Fenniche uf Vorschuß hätt' ich doch halt aso neetig.

Neumann. Ich hab' a paar hundert Taler neetig. Wenn's ufs Neetighaben ankäm' –! Schon mit Auszahlen an einen andern Weber beschäftigt, kurz. Ieber den Vorschuß hat Herr Dreißiger selbst zu bestimmen.

Erste Weberfrau . Kennt' ich da vielleicht amal mit'n Herrn Dreißiger selber red'n?

Expedient Pfeifer, ehemaliger Weber. Das Typische an ihm ist unverkennbar; nur ist er wohlgenährt, gepflegt gekleidet, glatt rasiert, auch ein starker Schnupfer. Er ruft barsch herüber. Da hätte Herr Dreißiger weeß Gott viel zu tun, wenn er sich um jede Kleenigkeit selber bekimmern sollte. Dazu sind wir da. Er zirkelt und untersucht mit der Lupe. Schwerenot! Das zieht. Er packt sich einen dicken Schal um den Hals. Macht de Tiere zu, wer reinkommt.

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Die Ratten

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FRAU JOHN. Freilein Pauline, bei meine ewige Seligkeit, von Stund an, wo det kleene Wurm ma uff de Welt is... von den Augenblick an!... des soll et haben als wenn et, ick weeß nicht wo! In Samt und Seide jeboren wär’. Bloß jutes Zutrauen! und, det Se ja sachen! – Ick habe mir alles ausjedacht. Et jeht zu machen, Pauline, et jeht, et jeht, sach ick Ihn! Und weder’n Doktor noch Polizei noch ihre Wirtin merk wat von. – Und denn kriejen Se erst ma hundertunddreiundzwanzig Mark, wat ick mir von de Reinmachen hier beim Direkter Hassenreuter abjespart habe, ausjezahlt.

DIE PIPERKARCKA. Denn lieber bei die Jeburt erwürgen! Verkaufen nicht!

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DIREKTOR HASSENREUTER. Da sieht man auch mal wieder den Herrn John! Bravo! Der Kaiser braucht Soldaten! Und Sie hatten einen Stammhalter nötig. Herr John! Gratuliere Ihnen von ganzem Herzen.

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FRAU JOHN. So? – Ach? – Wat wiste sehen? – Wat wiste nu jetzt uff eemal sehn? – Det, de watte hast mit deine zwee Händen erwürjen jewollt.

DIE PIPERAKARCKA. Ick? –

FRAU JOHN. Wiste noch liejen? Ick werde dir anzeijen.

DIE PIPERKARCKA. Nur haben mir aber jenug jequält und bis auf’t Blut jemartert, Frau John. Mir nachjestellt! Mir Schritt und Tritt nich Ruhe jelassen. Bis haben Kind auf Oberboden auf Haufen alter Lumpen zu Welt jebracht. Mich Hoffnung jemacht, mit schlechten Spitzbubenjungen Angst gemacht. Mich Karten jelegt von wegen mein Bräutigam un weitergehetzt, bis bin wie verrückt jeworden.

FRAU JOHN. Det bist du ooch noch! Jawoll: du bist janz und jar verrückt! Wat, ick hab’ dir jequält? Wat hab ick? Ick habe dir aus’n Rinnstein jelesen! Ick hab’ dir jeholt bei Schneejestöber, bei de Normaluhr, wo de hast mit verzweifelte Oochen – un wie de hast ausjesehen! – hintern Lanternanzünder herjestarrt. Jawoll: denn ha ick dir nachjestellt, det dir der Schutzmann, der dir der jrüne Wachen, der dir der Deibel nich hat holen jekonnt! Ick habe dir keene Ruhe jelassen, ick ha dir jemarter, bis det de nich sollst mit dein Kind unterm Herzen in’t Wasser jehn. Äfft ihr nach. Ick jeh’ im Landwehrkanal, Mutter John! Ick erwürje det Kind! Ich ersteche det Wurm mit meine Hutnadel! Ick jeh’, ick lauf’, wo der Lumpf von Vater sitzen un Zither spielen dut, mitten in’t Lokal und schmeiß’ ihn det tote Kind vor die Fieße. Det haste jesacht, so haste jesprochen, so jing et den lieben langen Dach, un manchmal de halbe Nacht noch dazu, bis ick dir hab’ hier ins Bette jebracht un so lange jestreichelt, det de bist endlich injeschlafen un bist mittas um zwölf, wie die Glocken von allen Krichen jeläut’t haben, an andern Dache erst wieder uffjewcht. Jawoll, so ha ick dir keene Ruhe jelassen! Haste des allens vergessen, wat?

DIE PIPERKARCKA. Aber et is doch mein Kind, Mutter John...

FRAU JOHN schreit. Denn hol et dir aus’n Landwehrkanale! Sie springt auf, läuft umher und nimmt bald diesen, bald jenen Gegenstand in die Hand, um ihn sogleich wieder wegzuwerfen.

DIE PIPERKARCKA. Soll ick mein Kind nich ma sehn dürfen?

FRAU JOHN. Spring in’t Wasser un such et! Denn haste et! Weeß Jott, ick halte dir nu weiter nich.

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FRAU JOHN. Ick weeß et, wat se jewesen ist! Een schlechtet, jemeinet Weibstick is et jewesen! Wo mit Kerle hat abjejeben und von een Tiroler, der nischt hat von wissen jewollt, hat Kind jehat. Det hat se an liebsten in Mutterleibe schon umjebracht. Denn is se’t holen jekomm mit de Kielbacke, wo als Engelsmachersche schon ma anderthalb Jahre Plätzensee abjesessen hat. Ob se mit Brunon ooch wat jehabt hat, wo soll ick det wissen? Kann sind, kann ooch nich sind! Und wat soll mir det allens ieberhaupt anjehn, wat Bruno meinsweejen verbrochen hat.
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