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FONTANE, Theodor


Guter Rat


An einem Sommermorgen

Da nimm den Wanderstab,

Es fallen deine Sorgen

Wie Nebel von dir ab.


Des Himmels heitere Bläue

Lacht dir ins Herz hinein,

Und schließt, wie Gottes Treue,

Mit seinem Dach dich ein.


Rings Blüten nur und Triebe

Und Halme von Segen schwer,

Dir ist, als zöge die Liebe

Des Weges nebenher.


So heimisch alles klinget

Als wie im Vaterhaus,

Und über die Lerchen schwinget

Die Seele sich hinaus.


Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland


Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland,

Ein Birnbaum in seinem Garten stand,

Und kam die goldene Herbsteszeit


Und die Birnen leuchteten weit und breit,

Da stopfte, wenn's Mittag vom Turme scholl,

Der von Ribbeck sich beide Taschen voll,

Und kam in Pantinen ein Junge daher,

So rief er: »Junge, wiste 'ne Beer?«

Und kam ein Mädel, so rief er: »Lütt Dirn,

Kumm man röwer, ick hebb 'ne Birn.«


So ging es viel Jahre, bis lobesam

Der von Ribbeck auf Ribbeck zu sterben kam.


Er fühlte sein Ende. 's war Herbsteszeit,

Wieder lachten die Birnen weit und breit;

Da sagte von Ribbeck: »Ich scheide nun ab.

Legt mir eine Birne mit ins Grab.«

Und drei Tage drauf, aus dem Doppeldachhaus,

Trugen von Ribbeck sie hinaus,

Alle Bauern und Büdner mit Feiergesicht

Sangen »Jesus meine Zuversicht«,

Und die Kinder klagten, das Herze schwer:

»He is dod nu. Wer giwt uns nu 'ne Beer?«


So klagten die Kinder. Das war nicht recht -

Ach, sie kannten den alten Ribbeck schlecht;

Der neue freilich, der knausert und spart,

Hält Park und Birnbaum strenge verwahrt.

Aber der alte, vorahnend schon

Und voll Mißtraun gegen den eigenen Sohn,

Der wußte genau, was damals er tat,

Als um eine Birn' ins Grab er bat,

Und im dritten Jahr aus dem stillen Haus

Ein Birnbaumsprößling sproßt heraus.


Und die Jahre gingen wohl auf und ab,

Längst wölbt sich ein Birnbaum über dem Grab,

Und in der goldenen Herbsteszeit

Leuchtet's wieder weit und breit.

Und kommt ein Jung' übern Kirchhof her,

So flüstert's im Baume: »Wiste 'ne Beer?«

Und kommt ein Mädel, so flüstert's: »Lütt Dirn,

Kumm man röwer, ick gew' di 'ne Birn.«


So spendet Segen noch immer die Hand

Des von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland.


Würd’ es mir fehlen, würd’ ich’s vermissen?

Heut’ früh, nach gut durchschlafener Nacht,

Bin ich wieder aufgewacht.

Ich setzte mich an den Frühstückstisch,

Der Kaffee war warm, die Semmel war frisch,


Ich habe die Morgenzeitung gelesen

(Es sind wieder Avancements gewesen).

Ich trat ans Fenster, ich sah hinunter,

Es trabte wieder, es klingelte munter,

Eine Schürze (beim Schlächter) hing über dem Stuhle,


Kleine Mädchen gingen nach der Schule —

Alles war freundlich, alles war nett,

Aber wenn ich weiter geschlafen hätt’

Und tät’ von alledem nichts wissen,

Würd’ es mir fehlen, würd’ ich’s vermissen?


Alles still!

Alles still! Es tanzt den Reigen
Mondenstrahl in Wald und Flur,
Und darüber thront das Schweigen
Und der Winterhimmel nur.

Alles still! Vergeblich lauschet
Man der Krähe heisrem Schrei.
Keiner Fichte Wipfel rauschet,
Und kein Bächlein summt vorbei.

Alles still! Die Dorfeshütten
Sind wie Gräber anzusehn,
Die, von Schnee bedeckt, inmitten
Eines weiten Friedhofs stehn.

Alles still! Nichts hör ich klopfen
Als mein Herze durch die Nacht -
Heiße Tränen niedertropfen
Auf die kalte Winterpracht.


John Maynard

John Maynard!

„Wer ist John Maynard?“

„John Maynard war unser Steuermann,

Aus hielt er, bis er das Ufer gewann,

Er hat uns gerettet, er trägt die Kron’,

Er starb für uns, unsre Liebe sein Lohn.

John Maynard.“

Die „Schwalbe“ fliegt über den Eriesee,

Gischt schäumt um den Bug wie Flocken von Schnee;

Von Detroit fliegt sie nach Buffalo –

Die Herzen aber sind frei und froh,

Und die Passagiere mit Kindern und Fraun

Im Dämmerlicht schon das Ufer schaun,

Und plaudernd an John Maynard heran

Tritt alles: „Wie weit noch, Steuermann?“

Der schaut nach vorn und schaut in die Rund:

„Noch dreißig Minuten ... halbe Stund.“

Alle Herzen sind froh, alle Herzen sind frei –

Da klingt’s aus dem Schiffsraum her wie Schrei,

„Feuer!“ war es, was da klang,

Ein Qualm aus Kajüt und Luke drang,

Ein Qualm, dann Flammen lichterloh,

Und noch zwanzig Minuten bis Buffalo.

Und die Passagiere, buntgemengt,

Am Bugspriet stehn sie zusammengedrängt,

Am Bugspriet vorn ist noch Luft und Licht,

Am Steuer aber lagert sich’s dicht,

Und ein Jammern wird laut: „Wo sind wir? Wo?“

Und noch fünfzehn Minuten bis Buffalo. –

Der Zugwind wächst, doch die Qualmwolke steht,

Der Kapitän nach dem Steuer späht,

Er sieht nicht mehr seinen Steuermann,

Aber durchs Sprachrohr fragt er an:

„Noch da, John Maynard?“

„Ja, Herr. Ich bin.“

„Auf den Strand! In die Brandung!“

„Ich halte drauf hin.“

Und das Schiffvolk jubelt: „Halt aus! Hallo!“

Und noch zehn Minuten bis Buffalo. – –

„Noch da, John Maynard?“ Und Antwort schallt’s

Mit ersterbender Stimme: „Ja, Herr, ich halt’s!“

Und in die Brandung, was Klippe, was Stein,

Jagt er die „Schwalbe“ mitten hinein.

Soll Rettung kommen, so kommt sie nur so.

Rettung: der Strand von Buffalo!

Das Schiff geborsten. Das Feuer verschwelt.

Gerettet alle. Nur einer fehlt.

Alle Glocken gehn; ihre Töne schwell’n

Himmelan aus Kirchen und Kapell’n,

Ein Klingen und Läuten, sonst schweigt die Stadt,

Ein Dienst nur, den sie heute hat:

Zehntausend folgen oder mehr,

Und kein Aug’ im Zuge, das tränenleer.

Sie lassen den Sarg in Blumen hinab,

Mit Blumen schließen sie das Grab,

Und mit goldner Schrift in den Mamorstein

Schreibt die Stadt ihren Dankspruch ein:

„Hier ruht John Maynard! In Qualm und Brand

Hielt er das Steuer fest in der Hand,

Er hat uns gerettet, er trägt die Kron’,

Er starb für uns, unsre Liebe sein Lohn.

John Maynard!“



Überlaß es der Zeit


Erscheint dir etwas unerhört,

Bist du tiefsten Herzens empört,

Bäume nicht auf, versuch′ s nicht mit Streit,

Berühr es nicht, überlaß es der Zeit.

Am ersten Tag wirst du feige dich schelten,

Am zweiten läßt du dein Schweigen schon gelten,

Am dritten hast du ′s überwunden,

Alles ist wichtig nur auf Stunden,

Ärger ist Zehrer und Lebensvergifter,

Zeit ist Balsam und Friedensstifter.



Tröste dich, die Stunden eilen


Tröste dich, die Stunden eilen,

und was all dich drücken mag,

Auch das Schlimmste kann nicht weilen,

und es kommt ein andrer Tag.


In dem ew'gen Kommen, Schwinden,

wie der Schmerz liegt auch das Glück,

Und auch heitre Bilder finden

ihren Weg zu dir zurück.


Harre, hoffe. Nicht vergebens

zählest du der Stunden Schlag:

Wechsel ist das Los des Lebens,

und es kommt ein andrer Tag.



Im Garten


Die hohen Himbeerwände

Trennten dich und mich,

Doch im Laubwerk unsre Hände

Fanden von selber sich.


Die Hecke konnt' es nicht wehren,

Wie hoch sie immer stund:

Ich reichte dir die Beeren,

Und du reichtest mir deinen Mund.


Ach, schrittest du durch den Garten

Noch einmal im raschen Gang,

Wie gerne wollt' ich warten,

Warten stundenlang.



Immer enger


Immer enger, leise, leise

Ziehen sich die Lebenskreise,

Schwindet hin, was prahlt und prunkt,

Schwindet hoffen, hassen, lieben,

Und ist nichts in Sicht geblieben

Als der letzte dunkle Punkt.



Die Frage bleibt


Halte dich still, halte dich stumm,

Nur nicht forschen, warum? warum?


Nur nicht bittre Fragen tauschen,

Antwort ist doch nur wie Meeresrauschen.


Wie's dich auch aufzuhorchen treibt,

Das Dunkel, das Rätsel, die Frage bleibt.



Mittag


Am Waldessaume träumt die Föhre,

am Himmel weiße Wölkchen nur;

es ist so still, daß ich sie höre,

die tiefe Stille der Natur.


Rings Sonnenschein auf Wies' und Wegen,

die Wipfel stumm, kein Lüftchen wach,

und doch, es klingt, als ström' ein Regen

leis tönend auf das Blätterdach.