FAUSER, Jörg
Berlin, Paris, New York
Ich habe grosse Städte gesehen
und habe die grossen Städte immer geliebt,
ihre Frauen, ihre Bars, ihre
Dämmerungen vor dem Gebrüll
der Maschinen und dem Sturm
auf die Bastille
Berlin, Paris, New York,
eine Straßenecke in Schöneberg
erregt mich tiefer
als der Schnee
auf dem Mont Blanc
oder die Wälder
im Untertaunus,
ich habe die Schönheit gesehen
von grossen Städten, den Glanz
ihrer Avenuen, das Elend
der Massen und die Vernichtung
von Einzeln,
ich habe die Grossen Städte geliebt
und ich liebe sie auch
in ihrem Verfall,
es sind nicht die grossen Städte,
die die Menschen zerstören,
sondern die Gesetze,
die das Menschliche nicht formen,
sondern ersticken,
ich wurde von den großen Städten geformt,
was ich sah, was ich litt, was ich wurde
verdanke ich einer Mutter aus Stein,
der großen Stadt,
und morgen, wenn meine Zeit vorbei ist,
wird es die große Stadt sein
die mich begräbt.
Der Anfang
Der Anfang kommt, wenn du wieder allein bist
Die Häuser sind dann dunkler als Höhlen
Und die Straße ist länger als das Leben
Und die Stadt ist größer als die Welt
Der Anfang ist eine Rose auf dem Pflaster
Der Anfang ist der Nebel überm Asphalt
Der Anfang der Liebe ist das Wort ich
Der Anfang der Liebe ist Angst
Der Anfang ist ein rostiges Messer
Der Anfang ist eine offene Wunde
Der Anfang ist eine Wölfin und wenn du kein Wolf bist
Dann ist die Stunde des Anfangs schon die Stunde des
Endes
Der Anfang kommt, wenn du wieder allein bist
Deine Angst ist dein zweiter Schatten
Deine Liebe ist dein zweites Leben
Und die Nacht ist plötzlich weiter als die Welt
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Staub wächst nach,
durch die offenen Fenster
wirft der Wind ein paar Sterne,
und der Mond leuchtet wie von Sinnen
durch das Flachszelt
des herbstlichen Himmels.
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Liebesgedicht
Als wir uns liebten, liebten wir uns selbst nicht. Als wir uns den Krieg erklärten, gaben wir uns schon verloren. Als wir geschlagen waren, bemühten wir die Geschichte. Als wir allein waren, übertönten wir sie mit Musik. Als wir uns trennten, blieben wir am gleichen Ort. So lagen wir uns bald wieder in den Armen und nannten es ein Liebesgedicht, aber kein Liebesgedicht erklärt uns die Angst vor der Liebe, und warum der Himmel so blau war als wir uns trafen, und warum er immer noch blau sein wird wenn wir sterben werden, du für dich, ich für mich.