MANN, Klaus



Der Vulkan

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Marion aber schwor sich: „So will ich nicht werden. So nicht. Vielleicht warten furchtbare Dinge auf mich; sehr wohl möglich, dass sich Schlimmes für mich vorbereitet. Aber ich will keinesfalls als alte Frau in einem engen Pariser Zimmer die Hände recken zu einer Gebärde des Jammers die nicht einmal mehr die Kraft hat, eine Gebärde der Anklage zu sein. Ich will mir auch nicht von meinen Kindern sagen lassen, dass ich ihnen die Heimat gestohlen habe. Im Gegenteil: was ich hören möchte von meinem Kinde, das sind Worte des Dankes dafür, dass wir ihm jetzt eine bessere Heimat erkämpfen.

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„Ich hätte genau so gut nach London reisen können“, bemerkte Marion, nicht besonders freundlich. Daraufhin Madame Rubinstein, immer noch neckisch und insistent: „Aber sie hätten nicht genau so gut in Berlin bleiben können. Oder irre ich mich?“ „Nein“, sagte Marion. „Weil ich dort erstickt wäre.“

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„Es ist hart, das Exil, mon pauvre enfant. Es werden Stunden kommen, da Sie sich der Worte erinnern, die ich Ihnen jetzt sage. Das Exil ist hart. Man ist als Emigrant nicht viel wert. Man ist gar nicht sehr angesehen. Die Leute wollen uns nicht – es macht kaum einen Unterschied, ob man politisch mit uns sympathisiert: ob man die Gründe, die uns zur Emigration bewogen haben, ablehnt oder ob man sie billigt. Man verachtet uns, weil wir nichts hinter uns haben.“

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Denn Sie sind ja noch eine Anfängerin.“ Da Marion schwieg und nur fragend schaute, erklärt Anna Nikolajewna was sie meinte: „Sie sind noch eine Anfängerin in diesem harten, quälendem Geschäft – wenn ich einen so tragischen Lebens-Zustand wie das Exil als ein „Geschäft“ bezeichnen darf. Ihr seid ahnungslose Dilettanten!“ rief die Russin hochmütig. „Es gibt tausend kleine Erfahrungen, die sich kaum beschreiben lassen, unzählige Qualen der verschiedensten Art, viele Schmerzen, immer betrogene Hoffnungen – Monotonie und Ruhelosigkeit des unbehausten Lebens – ein Heimweh das niemals aufhört -: ach meine arme Marion, all dies zusammen und noch manches, was ich jetzt gar nicht andeuten kann, das macht das Exil aus.

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„Wir sind erst im Jahre 1933“, meinte Hummler begütigend, „und das Exil hat nur gerade angefangen. In einem Jahr, oder in fünf Jahren, werden die Herrschaften alle etwas weniger kapriziös geworden sein. “Ich weiß aber gar nicht“ – Marion schüttelte gereizt die Purpur-Mähne -, „ob ich 1938 noch Lust haben werde, mit einer Truppe herumzureisen. Wenn sechs oder zehn Leute nicht unter einen Hut zu bekommen sind: gut, dann mache ich eben meinen Dreck alleine, wie der selige König von Sachsen gesagt hat. – Ich habe schon meine Pläne und Ideen“, verhieß sie, immer noch etwas grollend, aber doch schon wieder fast munter. „Wenn es sein muß, gehe ich ohne Ensemble auf Tour – ich, ein zartes einsames Mädchen!“

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Man richtet sich ein im Exil. Es dauert kaum ein halbes Jahr, und war doch schon kein Abenteuer mehr, sondern gewohnter Zustand. Alle hatten Pläne, die meisten schon irgendeine Beschäftigung, und manche verdienten sogar etwas Geld. Man bewegte sich in der fremden Stadt fast schon mit der gleichen Selbstverständlichkeit wie einst in der Heimat; man hatte seine Stammlokale, seinen Bekanntenkreis. Aus dem Reich kam immer neuer Zustrom. Die „alt-eingesessenen Emigranten“ empfingen die eben erst angekommenen nicht ohne einen gewissen Hochmut. „Habt ihr es auch nun eingesehen, daß man bei den Nazis nicht leben kann?“ (…)

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Das Leben hat viele Inhalte, und es bringt mit sich mancherlei Erschütterungen. Niemals wird es nur von einem Ereignis, von einem Umstand bestimmt. Die Emigranten denken nicht immer, nicht ohne Unterbrechung daran, dass sie sich im Exil befinden und ein gewisses Regime in der Heimat hassen oder sogar bekämpfen. Nicht stets und pausenlos können sie „Emigranten im Hauptberuf“ sein - : es wäre gar zu quälend und übrigens einfach langweilig. Zwar ist ihr Leben weitgehend beherrscht von der einen großen, alles verändernden Tatsache: dem Exil. Indessen hören einige große Gefühle nicht auf, das Menschenherz zu beschäftigen: Ehrgeiz und Liebe, Einsamkeit und Hunger, Freundschaft und die Angst vorm Tode – oder die Sehnsucht nach ihm... Die Zeit vergeht, im Exil wie zu Hause. Menschen finden sich und verlieren sich; haben Erfolge oder Misserfolge.

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