Download document

WEINERT, Erich



Alltägliche Ballade


Da wo die Danziger Straße beginnt,

An der Ecke der Pappelallee,

Stand Gustav Miethe mit Frau & Kind.

Sie blinzelten in den nassen Wind.

Es regnete auf das alte Spind

& das schäbige Kanapee.


Das Kindchen war schon ganz durchnässt.

& Gustav Miethe schrie los:

"Ihr Menschenschinder ! Verfluchte Pest !

Ihr Gesindel, habt mich ausgepresst !

Ihr Lumpen sitzt im trockenen Nest

In euren Wohlfahrtsbüros !"


& die vorbeigingen, blieben stehn,

& sahen das Elend an.

Erst waren es drei, dann waren es zehn,

& alle kamen & wollten es sehn.

Es blieben hundert & tausend stehn.

& alles drängte heran.


& Gustav Miethe schrie wie ein Stier,

Da bellte ein Hupensignal.

Das war der Flitzer vom nächsten Revier,

Drin stand der Herr Polizeioffizier.

Er überschrie sich: "Was ist das hier

Für ein unverschämter Skandal ?"


Er sprang herab. Einen Augenblick

War alles stumm wie ein Stein.

Der Tschako blitzte, sie wichen zurück.

Ein Schupo sprang über ein Möbelstück,

Schlug Gustav Miethe die Faust ins Genick.

Da fing das Kind an zu schrein.


Der Schrei war so entsetzenvoll.

Er klang wie ein Todesschrei.

Aus der Menge wuchs ein schwälender Groll.

Es schrie eine Stimme. Die Stimme schwoll.

Auf einmal schrien sie alle wie toll:

"Nieder die Polizei !"


Schon drängten sie sich zum Wagen vor,

Wie dampfende Lavaflut.

Mit blassen Lippen stand der Major:

"Straße frei ! Keinen Schritt weiter vor !"

Die Mannschaft riss die Pistolen empor.

Da hoben sich Fäuste der Wut.


& Gustav Miethe sprang wild aus den Reihn.

Da knallt es vom Wagen her.

Gustav Miehe brach in den Knien ein.

Die Menge floh mit entsetzten Schrei'n.

Der Flitzer fuhr knatternd hinterdrein.

& die Straße war menschenleer.


Da wo die Danziger Straße beginnt,

Am Mast von der Straßenbahn,

da liegt ein Toter im kalten Wind.

Da wimmern eine Frau & ein Kind.

& der Regen rinnt, & die Zeit verrinnt.

Sie wissen nicht, wo sie zu Hause sind.

Das ist eben "Schicksal", & Schicksal ist blind.

Der Staat hat sein Bestes getan.


Der Mitläufer


Hier sehn Sie mich, Herrn von Papen*, im Bilde.

Ich führte schon damals nichts Böses im Schilde.

Da lief ja alles im gleichen Schritt;

Ich war dazwischen und lief bloß mit.

Ganz zufällig kam ich hinein in den Haufen,

Da bin ich eben so mitgelaufen.

Sie sehn doch an meinem Gesicht, was ich litt.

Es gab kein Entweichen, ich mußte mit.

Rechts Hitler, links Hindenburg, hinten die Massen,

Die hätten mich gar nicht weggelassen.

Ich mußte mit, obwohl ich nicht wollte,

Weil ich doch kompromittiert werden sollte.

Sie brauchen ja nur das Bild zu studieren:

Wie Hitler und Hindenburg sicher marschieren,

Und wie ich dazwischen unsicher schleiche;

Ich paßte ja gar nicht zum dritten Reiche.

Betrachten Sie auf dem Bild die Gestalten,

Wie die sich fühlen, wie die sich halten,

Und ich dazwischen,

wie häßlich und klein.

Es fiel mir vom Herzen wie ein Stein,

Als endlich das dritte Reich verrauchte

Und ich nicht mehr mitzulaufen brauchte.

Die ganze Situation zeigt doch klar,

Daß ich nur ein gezwungener Mitläufer war.

Drum bitt ich um meine Entnazifizierung,

Damit ich der künftigen Reichsregierung

Meine Dienste wieder als kleiner Mann

Und gelernter Reichskanzler anbieten kan


Lied der Pflastersteine


Wir schliefen als kalter, toter Granit

Viel hunderttausend Jahre.

Da weckten sie uns mit Dynamit

Und machten uns zu Ware.

Der Kuli im Steinbruch stöhnte heiss.

Sein Meissel sprühte Funken.

Wir haben des Kulis Blut und Schweiss

In uns hineingetrunken.

Wir wurden in eine Strasse gestampft.

De Kuli stampfte uns ein.

Es tropfte sein Schweiss, er ist verdampft,

Doch das Salz zog in den Stein.

Dann haben wir alles tragen gemusst,

Karren und Luxuswagen.

Doch fühlten wir in der steineren Brust

Das Herz des Kulis schlagen.

Und eines Tages dröhnte der Tritt
Von tausend Demonstranten

Die Kulis sangen, wir klangen mit.

Unsre steinern Stirnen brannten.

Da schlugen die Kugeln in unsre Stirn.

Es spritzten Dreck und Funken.

Es spritzten des Kulis Blut und Hirn.

Wir haben das blut getrunken.

Sie rissen uns aus der Strasse heraus.

Da wurden wir Barrikaden.

Wir hörten die Kulis in Lârm und Braus

Ihre Gewehre laden.

Wir schlugen den Angriff nieder.
Und wieder sind Dreck und Funken gespritzt.

Wir haben die lebende Brüder

Mit unsren steinern Leibern geschützt.


Das Blut des Kulis hämmert im Stein,

Ist uns ins Herz geflossen.

Wir werden das Denkmal des Sieges sein

Auf dem Grabe unser Genossen!


Traum eines deutschen Soldaten


Ich hatte einen fürchterlichen Traum:

Ich war gefallen, tot. Doch fühlte ich,

Sie warfen mich in einen feuchten Raum;

Und andre Leichen rollten über mich


Es fiel nasse Erde ins Gesicht.

Dann war es totenstill. Nun war mir klar:

Es starb mein Leib, doch starb mein Denken nicht;

Und alles wusst ich, was gewesen war.


So lag und sann ich, weiss nicht mehr wie lang.

Da hört ich oben viele Schritte gehen

Und Kinderstimmen, fröhlichen Gesang.

Ach, könnt ich doch die Welt noch einmal sehn!


Da hört ich eine Stimme: Kinder, seht,

Hier wurden die Faschisten einst begraben,

Verbrecher, die das Land mit Blut besät,

Die es verwüstet und geplündert haben!


Da war's, als schöss es heiss mir ins Gesicht.

Ich wollte schrein aus meinen toten Lungen.

Ich wollte schrein: Hört doch! Ich war es nicht!

Ich bin nicht schuld: sie hatten mich gezwungen!-


Vor Schrecken wacht ich auf. Im Morgenrot

Sah ich winken drüben aus den Gräben.

Da lief ich fort vor einem Hundetod

Und lief nach dort ins ehrenhafte Leben.



John Schehr und Genossen.


Es geht durch die Nacht. Die Nacht ist kalt.

Der Fahrer bremst. Sie halten im Wald.

Zehn Mann Geheime Staatspolizei.

Vier Kommunisten sitzen dabei,

John Schehr und Genossen.


Der Transportführer sagt: "Kein Mensch zu sehn."

John Schehr fragt: "Warum bleiben wir stehn?"

Der Führer flüstert: "Die Sache geht glatt!"

Nun wissen sie, was es geschlagen hat,

John Schehr und Genossen.


Sie sehn, wie die ihre Pistolen ziehn.

John Schehr fragt: "Nicht wahr, jetzt müssen wir fliehn?"

Die Kerle lachen. "Na, wird es bald?

Runter vom Wagen und rein in den Wald,

John Schehr und Genossen!"


John Schehr sagt: "So habt ihr es immer gemacht!

So habt ihr Karl Liebknecht umgebracht!"

Der Führer brüllt: "Schmeißt die Bande raus!"

Und schweigend steigen die viere aus,

John Schehr und Genossen.


Sie schleppen sie in den dunklen Wald.

Und zwölfmal knallt es und widerhallt.

Da liegen sie mit erloschenem Blick,

jeder drei Nahschüsse im Genick,

John Schehr und Genossen.


Der Wagen saust nach Berlin zurück.

Das Schauhaus quittiert: "Geliefert vier Stück."

Der Transportführer schreibt ins Lieferbuch:

"Vier Kommunistenführer, beim Fluchtversuch,

John Schehr und Genossen."


Dann begibt er sich in den Marmorsaal,

zum General, der den Mord befahl.

Er stellt ihn, mitten im brausenden ball.

"Zu Befehl, Exzellenz! Erledigt der Fall

John Schehr und Genossen."


Erledigt der Fall? Bis zu einem Tag!

Da kracht seine Türe vom Kolbenschlag.

Er springt aus dem Bett. "Was wollt ihr von mir?"

"Kommt mit, Exzellenz, die Abrechnung für

John Schehr und Genossen.



Der Gottesgnadenhecht


Dem Hecht

Ging’s einmal schlecht

Er hin in der Reuse

In sichrem Gehäuse

Da gab’s nichts zu prassen und nichts zu schlarpfen

Weder Brassen noch Karpfen

Die junge Karpfenbrut

Fand das gerecht und gut

…..
Jedoch die Älteren

Befreiten ihn aus seinen Behältern

Sie sprachen: Wir hängen am Alten,

Die eherne Tradition wird heiliggehalten

Jedem Karpfengeschlecht

Gab Gott einen Hecht

Sein Privileg ist göttliches Recht –

Der Hecht, die Situation ausnutzend,

Fraß von den jüngeren Volksgenossen

Ein gehäuftes Dutzend

Nebst Flunsch und Flossen –

Die Alten wedelten mit dem Schwanz

Und sangen: Heil Dir im Siegerkranz

…..


Kriegsausbruch … Eine Vision


Alexanderplatz. Windige Nacht. Halb vier.

Ein Schupo schlendert durch sein Revier.

"Na Kleiner, wie is denn!" - "Laß mich in Ruh!"

Die letzte Kneipe macht zu.


Ein Kutscher kommt aus dem Kaffeekeller.

In den Wolken singt ein Propeller,

Ganz leise, in weiter Ferne.

Ein Kutscher guckt in die Sterne.


"Herr Wachtmeister, det sind doch mehr!"

"I wo, das ist unser Luftverkehr!"

"Ick kenn doch det Jeräusch aus Flandern!"

"Sie haben recht. Jetzt hör´ ich die andern."


Ein Schupo lauscht. Das Surren nimmt zu.

Ein Mann bleibt stehen und sagt: "Nanu!

Was ist denn? Das werden ja immer mehr!"

"Herr Wachtmeister, hörnse? Maschinengewehr!"


Plötzlich ein Pfeifen, ein Knall, ein Krach.

Feuerschein überm Bahnhofsdach.

Aus dem Präsidium brüllt ein Mann:

"Der Krieg fängt an! Der Krieg fängt an!"


Schon werden die Fenster aufgerissen.

Die Leute schreien. Sie wollen was wissen.

"Was ist passiert?" Sirenenpfiff!

"Stettiner Bahnhof brennt! Gasangriff!"


Unheimliches Heulen, Donnern und Flammen,

Aus allen Straßen rennt es zusammen.

Ganz dicht überm Platz brüllt ein Propeller.

"Schnell in die Untergrund, in die Keller!"


Überall flammen die Explosionen.

Dazwischen donnern die Abwehrkanonen.

Aus seinem Wagen kreischt ein Chauffeur:

"Von den Linden kommt eine Wolke her!"


Die wimmelnden Menschen schreien und jammern.

Jeder will sich ans Auto klammern.

Sie treten sich tot. Entsetzliche Schreie.

"Fahren! Rennen! Ins Freie - ins Freie!"


Am Königstor schlägt eine Bombe ein.

Sie brüllen:" Nicht nach dem Friedrichshain!"

Über den Platz schreit ein Feuerwehrmann:

"Von der Königstraße kommt Gas heran!"


Sie wissen nicht mehr, wohin sie laufen.

Tausende rennen sich übern Haufen.

Die Wolke kommt, Tausende sinken um,

Wohin sie greift, da wird alles stumm.


Um Viertel nach viere ist tiefe Ruh.

Der graue Schwaden deckt alles zu.

Der Krieg fängt an! Der Krieg ist da!

Warum schreit denn kein Mensch hurra?