BORCHERT, Wolfgang


Abschied


Lass mir deinen Rosenmund

noch für einen Kuss.

Draußen weiß ein ferner Hund,

daß ich weiter muss.


Lass mir deinen hellen Schoß

noch für ein Gebet.

Mach mich aller Schmerzen los!

- horch, der Seewind weht.


Lass mir noch dein weiches Haar

schnell für diesen Traum:

Dass dein Lieben Liebe war -

lass mir diesen Traum!



Der Kuß


Es regnet – doch sie merkt es kaum,

weil noch ihr Herz vor Glück erzittert:

Im Kuß versank die Welt im Traum.

Ihr Kleid ist naß und ganz zerknittert


und so verächtlich hochgeschoben,

als wären ihre Knie für alle da.

Ein Regentropfen, der zu Nichts zerstoben,

der hat gesehn, was niemand sonst noch sah.


So tief hat sie noch nie gefühlt –

so sinnlos selig müssen Tiere sein!

Ihr Haar ist wie zu einem Heiligenschein zerwühlt

Laternen spinnen sich drin ein.



Muscheln, Muscheln


Muscheln, Muscheln, blank und bunt,

findet man als Kind.

Muscheln, Muscheln, schlank und rund,

darin rauscht der Wind.


Darin singt das große Meer in

Museen sieht man sie glimmern,

auch in alten Hafenkneipen

und in Kinderzimmern.


Muscheln, Muscheln, rund und schlank,

horch, was singt der Wind:

Muscheln, Muscheln, bunt und blank,

fand man einst als Kind!



Liebesgedicht


Du warst die Blume Makellos

und ich war wild und wach.

Als deine Iris überfloss,

da gabst du gebend nach.


Ich war die Blume Schmerzenlos

in deinem lichten Duft.

Wir schenkten uns aus Grenzenlos,

aus Erde, Leid und Gruft.


Da wuchs die Blume Morgenrot

an unserer Nächte Saum.

Wir litten eine süße Not

um einen süßen Traum.


Laterne, Nacht und Sterne

Laterne, Nacht und Sterne

Ich möchte Leuchtturm sein

in Nacht und Wind –

für Dorsch und Stint,

für jedes Boot –

und ich bin doch selbst

ein Schiff in Not!



Versuch es


Stell dich mitten in den Regen,

glaub an seinen Tropfensegen

spinn dich in das Rauschen ein

und versuche, gut zu sein!


Stell dich mitten in den Wind,

glaub an ihn und sei ein Kind – –

lass den Sturm in dich hinein

und versuche, gut zu sein.


Stell dich mitten in das Feuer,

liebe dieses Ungeheuer

in des Herzens rotem Wein –

und versuche, gut zu sein!


Dann gibt es nur eins!

…..

Sagt NEIN! Mütter, sagt NEIN!


Denn wenn ihr nicht NEIN sagt, wenn IHR nicht nein sagt, Mütter, dann:

In den lärmenden dampfdunstigen Hafenstädten werden die großen Schiffe

stöhnend verstummen und wie titanische Mammutkadaver wasserleichig träge

gegen die toten vereinsamten Kaimauern schwanken, algen-, tang- und

muschelüberwest den früher so schimmernden dröhnenden Leib, friedhöflich

fischfaulig duftend, mürbe, siech, gestorben –


die Straßenbahnen werden wie sinnlose glanzlose glasäugige Käfige blöde

verbeult und abgeblättert neben den verwirrten Stahlskeletten der Drähte und

Gleise liegen, hinter morschen dachdurchlöcherten Schuppen, in verlorenen

kraterzerrissenen Straßen –


eine schlammgraue dickbreiige bleierne Stille wird sich heranwälzen,

gefräßig, wachsend, wird anwachsen in den Schulen und Universitäten und

Schauspielhäusern, auf Sport- und Kinderspielplätzen, grausig und gierig,

unaufhaltsam –


der sonnige saftige Wein wird an den verfallenen Hängen verfaulen, der Reis

wird in der verdorrten Erde vertrocknen, die Kartoffel wird auf den

brachliegenden Äckern erfrieren und die Kühe werden ihre totsteifen Beine wie

umgekippte Melkschemel in den Himmel strecken –


in den Instituten werden die genialen Erfindungen der großen Ärzte sauer

werden, verrotten, pilzig verschimmeln –


in den Küchen, Kammern und Kellern, in den Kühlhäusern und Speichern

werden die letzten Säcke Mehl, die letzten Gläser Erdbeeren, Kürbis und

Kirschsaft verkommen – das Brot unter den umgestürzten Tischen und auf

zersplitterten Tellern wird grün werden und die ausgelaufene Butter wird

stinken wie Schmierseife, das Korn auf den Feldern wird neben verrosteten

Pflügen hingesunken sein wie ein erschlagenes Heer und die qualmenden

Ziegelschornsteine, die Essen und die Schlote der stampfenden Fabriken

werden, vom ewigen Gras zugedeckt, zerbröckeln - zerbröckeln - zerbröckeln -


dann wird der letzte Mensch, mit zerfetzten Gedärmen und verpesteter

Lunge, antwortlos und einsam unter der giftig glühenden Sonne und unter

wankenden Gestirnen umherirren, einsam zwischen den unübersehbaren

Massengräbern und den kalten Götzen der gigantischen betonklotzigen

verödeten Städte, der letzte Mensch, dürr, wahnsinnig, lästernd, klagend - und

seine furchtbare Klage: WARUM? wird ungehört in der Steppe verrinnen, durch

die geborstenen Ruinen wehen, versickern im Schutt der Kirchen, gegen

Hochbunker klatschen, in Blutlachen fallen, ungehört, antwortlos, letzter

Tierschrei des letzten Tieres Mensch - all dieses wird eintreffen, morgen,

morgen vielleicht, vielleicht heute nacht schon, vielleicht heute nacht, wenn – –

wenn – –


wenn ihr nicht NEIN sagt.