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WERFEL, Franz


Elternlied


Kinder laufen fort.

Lang her kanns noch gar nicht sein,

Kamen sie zur Tür herein,

Saßen zwistiglich vereint

Alle um den Tisch.


Kinder laufen fort.

Und es ist schon lange her.

Schlechtes Zeugnis kommt nicht mehr.

Stunden Ärgers, Stunden schwer:

Scharlach, Diphtherie!


Kinder laufen fort.

Söhne hangen Weibern an.

Töchter haben ihren Mann.

Briefe kommen, dann und wann,

Nur auf einen Sprung.


Kinder laufen fort.

Etwas nehmen sie doch mit.

Wir sind ärmer, sie sind quitt,

Und die Uhr geht Schritt für Schritt

Um den leeren Tisch.



Mitternachtsspruch


Fühle du zur Stunde dieser Nacht

Dich zur Achse aller Welt gemacht.

Pocht nicht Hekuba in deinem Blut,

Ist die Träne, die dein Auge tut,

Nicht der Trank der Tränen, je geweint?

Fühl dein Herz als Mühle aller Zeit,

Mühlrad schäumt im Strom mit Riesigkeit,

Strom, der strömt und doch zu strömen scheint!

Fremdes fühl, das ewig aus dir bricht,

Fernsten Sterns auf deinem Nachtgesicht.


Ehespruch


Jeder Mensch ist eine Melodie.

Lieben heißt: sie innehaben.

Ich bin für dich, du bist für mich ein Lied.

Geschlossenen Auges sing ich dich,

In meiner Seele mich an dir zu laben.


Doch wehe, wenn wir uns vergessen,

Fehlt Ton um Ton des Lieds, umsonst gesucht,

Dann ist die Liebe ohne Zucht,

Ein Zwang, der ichbesessen

Zwei Einsamkeiten ineinanderflucht


Der rechte Weg

(Traum)

Ich bin in eine große Stadt gekommen.

Vom Riesenbahnhof trat den Weg ich an,

Besah Museen und Plätze, habe dann

Behaglich eine Rundfahrt unternommen.

Den Straßenstrom bin ich herabgeschwommen

Und badete im Tag, der reizend rann.

Da! Schon so spät!? Ich fahre aus dem Bann.

Herrgott, mein Zug! Die Stadt ist grell erglommen.

Verwandelt alles! Tausend Auto jagen,

Und keines hält. Zweideutige Auskunft nur

Im Ohr durchkeuch´ ich das Verkehrs-Gewirre.

Der Bahnhof?! Wo?! Gespenstisch stummt mein Fragen.

Die Straßen blitzen endlos, Schnur um Schnur,

Und alle führen, alle, in die Irre.


Der Krieg

Auf einem Sturm von falschen Worten
Umkränzt von leerem Donner das Haupt,
Schlaflos vor Lüge,
Mit Taten, die sich selbst nur tun, gegürtet,
Prahlend von Opfern,
Ungefällig scheußlich für den Himmel —
So fährst du hin,
Zeit,
In den lärmenden Traum,
Den Gott mit schrecklichen Händen,
Aus seinem Schlafe reißt
Und verwirft.

Höhnisch, erbarmungslos,
Gnadenlose starren die Wände der Welt!
Und deine Trompeten,
Und trostlosen Trommeln,
Und Wut deiner Märsche,
Und Brut deines Grauens,
Branden kindisch und tonlos
Aus unerbittliche Blau,
Das den Panzer schlägt,
Ehern und leicht sich legt,
Und das ewige Herz.

Mild wurden im furchtbaren Abend
Geborgen schiffbrüchige Männer.
Sein goldenes Kettlein legte das Kind
Dem toten Vogel ins Grab,
Die ewige unwissende,
Die Heldentat der Mutter noch regt sie sich.

Der Heilige, der Mann;
Hingab er sich mit Jauchzen und vergoß sich.
Der Weise brausend, mächtig.
Siehe,
Erkannte sich im feind und küßte ihn.
Da war der Himmel los,
Und konnte sich vor Wundern nicht halten,
Und stürzte durcheinander.
Und auf die Dächer der Menschen,
Begeistert, goldig, schwebend,
Der Adlerschwarm der Gottheit
Senkte sich herab.

Vor jeder kleinen Güte
Gehn Gottes Augen über,
Und jede kleine Liebe
Rollt durch die ganze Ordnung.

Dir aber wehe,
Stampfende Zeit!
Weke dem scheußlichen Gewitter
Der eitlen Rede!
Ungerührt ist das Wesen vor deinem Anreiten,
Und den zerbrechenden Gebirgen,
Den keuchenden Straßen,
Und den Toden, tausendfach, nebenbei, ohne Wert.

Und deine Wahrheit ist
Des Drachen Gebrüll nicht.
Nicht der geschwätzigen Gemeinschaft
Vergiftetes, eitles Recht!
Deine Wahrheit allein,
Der Unsinn und sein Leid,
Der Wundrand und das ausgehende Herz,
Der Durst und die schlammige Tränke,
Gebleckte Zähne,
Und die mutige Wut
Des tükischen Ungetüms
Der arme Brief von zu Hause,
Das Durch-die-Straße-Laufen
Der Mutter, die weise,
Das alles nicht einsieht.

Nu da wir uns ließen,
Und unser Jenseits verschmissen,
und uns verschwuren,
Zu Elend, besessen von Flüchen…
Wer weiß von uns,
Wer von dem endlosen Engel,
Der weh über unsern Nächten,
Zwischen den Fingern der Hände,
Gewichtlos, unerträglich, niederfallend,
Die ungeheuren Tränen weint?!



Gebet um Reinheit


Nun wieder, mein Vater, ist kommen die Nacht, die alte

immergleiche.

Sie durchschreitet uns all die Wunderblinden mitten im Wunder.

Und die Stunde ist da, wo die Menschen, unwissend des tiefen

Zeichens,

Vor ihr Wasser treten, den Kopf eintauchen und die beschmutzten

Hände spülen.


O heilig Wasser der Erde, doppelt bestimmt, zu tränken und zu

reinigen!

O mein Gott, o mein Vater, heilig Wasser der Geisterwelt!

Ist nicht meine Sehnsucht nach deiner Kühle Gewähr, daß du

springst und spülst,

Ist nicht mein Zweifel noch das Hinlauschen nach deinem süßen

Gefälle?


Ich senke meinen Kopf und tauche ihn in die Feuchte des Lampen-

kreises.

Ich halte dir meine beschmutzten Hände hin, wie ein Kind, das am

Abend der Waschung wartet.

Nach einem lügnerischen Tage will ich mich sammeln, um in dieser

Spanne wahr zu sein.

Ich will mich in meiner Hürde zusammendrängen, bis das Geheul

meiner Eitelkeit verstummt.


Dein Psalmist, mein Vater, hat wider seine Feinde gesungen,

Und ich, mein Vater, folge ihm, und singe einen Psalm hier wider

meinen Feind!

Ach, ich habe keine Feinde, denn wir Menschen lieben einander

nicht einmal so sehr, um uns Feinde zu sein.

Aber ich habe einen Feind, einen gewaltigen Feind, der mich berennt

und an alle meine Tore pocht.


Ich habe einen Feind, mein Vater, der an meinem Tisch sitzt und

Völlerei treibt,

Während ich meine verdorrten Hände falte und darbe, und sich

am Fenster die Hungrigen drängen.

Ich habe einen Feind, der aufstoßend nach der Mahlzeit seine

Zigarre raucht und fett wird,

Während ich immer geringer werde, und zusehn muß, wie er das

Gut meiner Seele verpraßt.


Ich habe einen Feind, mein Vater, der meine edle Rede in Geschwätz

verkehrt und in Selbstbetrug.

Ich habe einen Feind, der mein Gewissen liebedienerisch macht,

und meine Liebe mit Trägheit erstickt,

Ich habe einen Feind, der mich zu jeder Niedrigkeit verleitet, zur

Wollust des Sieges an den Spieltischen,

Der ich doch ein Meister der göttlichen Genüsse bin.


Warum hast du mich mit diesem Feind erschaffen, mein Vater,

warum mich zu dieser Zwieheit gemacht?

Warum gabst du mir nicht Einheit und Reinheit? Reinige, einige

mich, o du Gewässer!

Siehe, es wehklagen all deine wissenden Kinder seit eh und je über

die Zahl Zwei.

Ich tauche meinen Kopf ins Licht und halte dir meine Hände hin

zur Waschung.


Befreie mich, reinige mich, mein Vater, töte diesen Feind, töte mich,

ertränke diesen Mich!

Wie selig sind die Einfachen, die Unwissenden, selig die einfach

Guten, selig die einfach Bösen!

Aber unselig, unselig die Entzweiten, die Zwiefachen, die zu- und

abnehmenden Gegenspieler.

O heilig Gewässer, um dein und meiner Größe willen, hilf mir!