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MECKEL, Christoph



Augen


gewidmet dem Gedenken Klabunds


Die Augen der Gesunden

erkennen die Welt

bis an den Rand des Atlantik,

die Augen der Kranken

durchschauen die Welt

bis zu der Stelle an der der Glanz

der Nordlichtblitze zu Ende geht.


Die Blicke der Toten

übersehen die ganze Erde

und erkennen selbst die alternden Engel

die hinter den Schlüssellöchern

schweigend sich drängen um einen Blick

in meine ratlosen Augen zu werfen.



Lied


Schlief ich, da nachts vorm Haus

anhielt ein Wagen;

sprang der Kutscher heraus:

»Unglück läßt fragen

wenn du was nötig hast

sollst du’s ihm sagen,

Unglück wär gern dein Gast

und Wegbereiter,

komm, wenn du Zeit für ihn hast,

Unglück muß weiter«


Sagte ich: »Freund, ich schlief

er wirds wohl wissen,

hab, da ich nicht nach ihm rief

nichts zu vermissen,

hab ja kein Paradies

je zu verbüßen

und käm das Glückstier, dies

trät ich mit Füßen

unter die Erde tief «

Lachte der Kutscher und rief:

»Unglück läßt grüßen“.


Lied zur Pauke


Laut verlacht verlaust verloren

Blut geschluckt und Kopf geschoren

abgetan und ausverkauft und

quergelegt und Haar gerauft und


angepfahlt und abgeschlacht und

alle Knochen klein gemacht und

übern Kopf die Haut gezogen und

und mit Eisen aufgewogen

krummgepeitscht und gradgestaucht und

angespuckt und Herz verhaucht und

Hundeschnauzen festgebissen

und die Arme abgerissen


ausgedört und kleingezwängt und

Steine um den Hals gehängt und

Riemen um den Bauch geschlungen

und mit Knüppeln umgesprungen


Pflock ins Fleisch und Tritt in Bauch und

aufgehängt in Schnee und rauch

Zahn und Zähne ausgeschlagen

Und das Gold nach Haus getragen.


Soweit wär er hergestellt nun

abgeschoben in die Welt nun

dass er seine Beine hebe!

dass er weiterlauf und lebe!



Rede vom Gedicht


Das Gedicht ist nicht der Ort, wo die Schönheit gepflegt wird.

Hier ist die Rede vom Salz, das brennt in den Wunden.

Hier ist die Rede vom Tod, von vergifteten Sprachen.

Von Vaterländern, die eisernen Schuhen gleichen.

Das Gedicht ist nicht der Ort, wo die Wahrheit verziert wird.


Hier ist die Rede vom Blut, das fließt aus den Wunden.

Vom Elend, vom Elend, vom Elend des Traums.

Von Verwüstung und Auswurf, von klapprigen Utopien.

Das Gedicht ist nicht der Ort, wo der Schmerz verheilt wird.


Hier ist die Rede von Zorn und Täuschung und Hunger

(die Stadien der Sättigung werden hier nicht besungen).

Hier ist die Rede von Fressen, Gefressenwerden

von Mühsal und Zweifel, hier ist die Chronik der Leiden.

Das Gedicht ist nicht der Ort, wo das Sterben begütigt

wo der Hunger gestillt, wo die Hoffnung verklärt wird.


Das Gedicht ist der Ort der zu Tode verwundeten Wahrheit.

Flügel! Flügel! Der Engel stürzt, die Federn

fliegen einzeln und blutig im Sturm der Geschichte!


Das Gedicht ist nicht der Ort, wo der Engel geschont wird.



An wen auch immer ich mich wende


Mein Kriegsherr, mein Friedefürst,

mein großer Bruder, mein Goldkind,

aaaaaes spielt keine Rolle,

mein guter Stern, mein schlechter Stern,

aaaaaes spielt keine Rolle,

du machst mir was vor.


An wen auch immer ich mich wende,

wenn mich der Stiefel drückt, der goldene Stiefel,

der schwarze Stiefel, es spielt keine Rolle,

dein Laden hat immer geschlossen,

dein Diener hat immer Ausgang,

dein Telefon ist immer besetzt.


Wann kriege ich dich dran, wann reichst du mir

den kleinen Finger, den kleinsten nur,

wann zeigst du dein Gesicht, dein schönes Gesicht,

dein häßliches Gesicht, es spielt keine Rolle,

dein Gesicht?


Du bist sicher, daß ich dir nachlaufe,

du bist sicher, daß es nicht ohne dich geht,

das kann sich ändern.

Was wird dann aus dir, mein Kriegsherr, ohne

meinen Ruin, von dem du dich nährst,

was fängst du dann an, mein Hofnarr,

aaaaaes spielt keine Rolle,

mein großer Häuptling, mein Goldkind,

aaaaaes spielt keine Rolle,

ohne mich?