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HILBIG, Wolfgang



abwesenheit


wie lang noch wird unsere abwesenheit geduldet

keiner bemerkt wie schwarz wir angefüllt sind

wie wir in uns selbst verkrochen sind

in unsere schwärze


nein wir werden nicht vermißt

wir haben stark zerbrochne hände steife nacken −

das ist der stolz der zerstörten und tote dinge

schaun auf uns zu tod gelangweilte dinge – es ist

eine zerstörung wie sie nie gewesen ist


und wir werden nicht vermißt unsere worte sind

gefrorene fetzen und fallen in den geringen schnee

wo bäume stehn prangend weiß im reif – ja und

reif zum zerbrechen


alles das letzte ist uns zerstört unsere hände

zuletzt zerbrochen unsere worte zerbrochen: komm doch

geh weg bleib hier – eine restlos zerbrochne sprache

einander vermengt und völlig egal in allem

und der wir nachlaufen und unserer abwesenheit


nachlaufen so wie uns am abend

verjagte hunde nachlaufen mit kranken

unbegreiflichen augen.



Rechenschaft

die ihr mich fragt euch sag ich

ich habe mit manchem einen blick gewechselt

und bin müde zurückgegangen mit

dem wunsch mich auf die erde

zu werfen zu schlafen


wer ich bin wo ich steh und geh so fragt ihr

weitab im herrlichen herbst sag ich im jahr

das in trauben niederfällt im wald

der sich auflöst am weg der ein ende

nimmt hinterm horizont


ich bin der unerkannt letzte der plötzlich

seitab wegtritt der verschwinden kann

ohne spürbare spur und der

euch doch gesehn hat und gefühlt

den halt wie das schwächste

glied in der kette.



das ende der jugend


es kamen schwarze sommer bald und selten

rote sonnen – wolken waren gelbliches gewüchs

und lang vergeblich glaubte ich noch ich ertrügs

dächt ich mir heitre sommer über meine welten

und letztlich schwände dies mit den oktobern –

doch eines morgens war ein rauhreif in das laub gefressen

und ich erschrak vergaß mich – im vergessen

begann die kalte angst mich zu erobern

seitdem vergesse ich dem winter zu entkommen

versäum die pflicht die jeder tag mir auferlegt:

die sonnen die im sommer rot verglommen

zu bannen in mein wort für spätre zeiten –

schon ist die erde ganz von farben leergefegt

und schwärenhafte träume streifen in den weiten.



geste


bevor du einschläfst sprach sie schließ das fenster

in der küche wegen des winds da draußen und ganz

in ihrem duft noch ging ich und dachte nirgendwo

ist eine mütze voll wind

durch den hof fuhr ein geheul und krachend

schlug eine leiter um die gardinen sausten

reißend ins freie und ich dachte nirgends

nur eine nase voll wind

während ich dies dachte rüttelte die nacht

an den bäumen mit schweren tropfen vermischt

alle blätter jagten sich wirbelnd in die luft

und ich sagte mir es ist nichts

nichts nirgendwo ein mund voll wind

ich setzte mich an den tisch wie auf einem boot

das haar stürzte mir in die stirn und ich dachte

ach nirgends nur ein mund voll wind.