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DELIUS, Friedrich Christian



Der Sonntag, an dem ich Weltmeister wurde

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Ich tauchte unter, suchte den Schlaf, ohne zu wissen, was ich suchte im Schlaf und was mir im Wachsein fehlte, tauchte unter die Decke, unter alle Geräusche, streckte die Beine, drückte mich in die Kissen. Jetzt erst hörte ich meinen Bruder, mit dem ich das Zimmer teilte, wie er sich drehte im Bett und nach der Störung weiterschlafen wollte. Ich wollte jetzt nichts von ihm, sprach ihn nicht an, tauchte zurück in die Wärme, das Glockengetöse noch im Ohr und allmählich entspannt nach der fünfzehnminütigen Plage. Nicht weil ich müde gewesen wäre, sondern weil ich ein seltenes Glück verlängern wollte, versuchte ich den Zustand des Halbschlafs zu erreichen und die Gelegenheit auszukosten, für kurze Zeit keinem Druck, keiner Erwartung, keinem strengen Blick ausgesetzt zu sein.

Es war der einzige Tag in der Woche, an dem ich nicht früh um sechs geweckt wurde, der einzige Tag, an dem die Glocken mich aus dem Schlaf rissen und nicht die auf Fröhlichkeit eingestellte Stimme der Mutter mit ihrem «Guten Morgen!», gedehnt betont auf dem U und dem O. Der einzige Tag, an dem ich nicht spätestens beim Frühstück an die lateinischen oder mathematischen Schrecken des anbrechenden und wie ein riesiges Hindernis vor mir liegenden Schultags denken musste, an mein schlechtes Vokabelgedächtnis, an die halbverdauten Formeln und mein erbärmliches Rechengedächtnis, an die mühsam eingepaukten Unterschiede zwischen Laubmoosen und Lebermoosen oder mein störrisches Biologiegedächtnis. Der einzige Tag in der Woche, an dem ich halbwegs geschützt blieb vor der Entdeckung, wie schlecht und schwach ich in allem war oder mich zu fühlen gezwungen war, schnell in der Angst gefangen, auf alle Fragen dieser Welt, wenn sie von Erwachsenen mit einer bestimmten herrischen Erwartung gestellt wurden, nur mit Stocken und Stottern reagieren zu können

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