Download document

TUCHOLSKY, Kurt



Aus!


Einmal müssen zwei auseinandergehn;

einmal will einer den andern nicht mehr verstehn – –

einmal gabelt sich jeder Weg – und jeder geht allein –

wer ist daran schuld?


Es gibt keine Schuld. Es gibt nur den Ablauf der Zeit.

Solche Straßen schneiden sich in der Unendlichkeit.

Jedes trägt den andern mit sich herum –

etwas bleibt immer zurück.


Einmal hat es euch zusammengespült,

ihr habt euch erhitzt, seid zusammengeschmolzen, und dann erkühlt –

Ihr wart euer Kind. Jede Hälfte sinkt nun herab –:

ein neuer Mensch.


Jeder geht seinem kleinen Schicksal zu.

eben ist Wandlung. Jedes Ich sucht ein Du.

Jeder sucht seine Zukunft. Und geht nun mit stockendem Fuß,

vorwärtsgerissen vom Willen, ohne Erklärung und ohne Gruß

in ein fernes Land.



Letzte Fahrt


An meinem Todestag – ich werd ihn nicht erleben –

da soll es mittags Rote Grütze geben,

mit einer fetten, weißen Sahneschicht ...

Von wegen: Leibgericht.


Mein Kind, der Ludolf, bohrt sich kleine Dinger

aus seiner Nase – niemand haut ihm auf die Finger.

Er strahlt, als einziger, im Trauerhaus.

Und ich lieg da und denk: »Ach, polk dich aus!«


Dann tragen Männer mich vors Haus hinunter.

Nun faßt der Karlchen die Blondine unter,

die mir zuletzt noch dies und jenes lieh ...

Sie findet: Trauer kleidet sie.


Der Zug ruckt an. Und alle Damen,

die jemals, wenn was fehlte, zu mir kamen:

vollzählig sind sie heut noch einmal da ...

Und vorne rollt Papa.


Da fährt die erste, die ich damals ohne

die leiseste Erfahrung küßte – die Matrone

sitzt schlicht im Fond, mit kleinem Trauerhut.

Altmodisch war sie – aber sie war gut.


Und Lotte! Lottchen mit dem kleinen Jungen!

Briefträger jetzt! Wie ist mir der gelungen?

Ich sah ihn nie. Doch wo er immer schritt:

mein Postscheck ging durch sechzehn Jahre mit.


Auf rotem samtnen Kissen, im Spaliere,

da tragen feierlich zwei Reichswehroffiziere

die Orden durch die ganze Stadt

die mir mein Kaiser einst verliehen hat.


Und hinterm Sarg mit seinen Silberputten,

da schreiten zwoundzwonzig Nutten –

sie schluchzen innig und mit viel System.

Ich war zuletzt als Kunde sehr bequem.


Das Ganze halt! Jetzt wird es dionysisch!

Nun singt ein Chor: Ich lächle metaphysisch.

Wie wird die schwarzgestrichne Kiste groß!

Ich schweige tief.

Und bin mich endlich los.



Die Mäuler auf !


Heilgebrüll und völksche Heilung,

schnittig, zackig, forsch und päng!

Staffelführer, Sturmabteilung,

Blechkapellen, schnädderädäng!

Judenfresser, Straßenmeute ...


Kleine Leute. Kleine Leute.

Arme Luder brülln sich heiser,

tausend Hände fuchteln wild.

Hitler als der selige Kaiser,

wie ein schlechtes Abziehbild.

Jedes dicken Schlagworts Beute:

Kleine Leute! Kleine Leute!


Tun sich mit dem teutschen Land dick,

grunzen wie das liebe Vieh.

Allerbilligste Romantik –

hinten zahlt die Industrie.

Hinten zahlt die Landwirtschaft.

Toben sie auch fieberhaft:

Sind doch schlechte deutsche Barden,

bunte Unternehmergarden!

Bleiben gestern, morgen, heute

kleine Leute! kleine Leute!