REGENER, Sven
Herr Lehmann
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”Frank, bist du das? Du klingst so komisch. Es hat so lange geklingelt, bis du rangegangen bist, da hab ich schon gedacht, du bist gar nicht da. Ich wollte schon wieder auflegen.“
Herr Lehmann liebte seine Eltern. Er war ihnen für vieles dankbar, und sie lebten weit weg von Westberlin, in Bremen, das ergab einen Abstand von zwei Staatsgrenzen und einigen hundert Kilometern. Was er auch sehr an ihnen schätzte, war die Tatsache, daß sie niemals im Leben auf die Idee kämen, ihn mit Herr Lehmann anzusprechen. Das einzige Problem mit ihnen war: Sie standen gerne früh auf und riefen gerne früh an.
”Mutter!“ sagte Herr Lehmann.
”Ich wollte schon wieder auflegen.“
Warum, dachte Herr Lehmann, hast du es nicht getan. Ich, dachte HerrLehmann, der sich auf seine Rücksichtnahme, die Bedürfnisse anderer Menschen betreffend, durchaus etwas zugute hielt, hätte es getan. Genauer gesagt, dachte Herr Lehmann, hätte ich es vor allem nicht dreißigmal klingeln lassen, damit geht’s doch schon mal los, dachte er. F¨unfmal, das ist okay, zumal die meisten Leute Anrufbeantworter haben, die nicht ohne Grund schon nach vier- oder fünfmaligem Klingeln anspringen, dachte Herr Lehmann und bedauerte, daß er sich noch immer nicht ein solches Gerät angeschafft hatte, aber der Gedanke, zu Karstadt am Hermannplatz, also im Grunde nach Neukölln zu gehen, um so etwas zu kaufen, war ihm zutiefst zuwider.
”Frank, bist du noch da?“
Herr Lehmann seufzte.
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