GEIBEL, Emanuel


Siehst du das Meer?


Siehst du das Meer? Es glänzt auf seiner Flut

Der Sonne Pracht;

Doch in der Tiefe, wo die Perle ruht,

Ist finstre Nacht.


Das Meer bin ich. In stolzen Wogen rollt

Mein wilder Sinn,

Und meine Lieder ziehn wie Sonnengold

Darüber hin.


Sie flimmern oft von zauberhafter Lust,

Von Lieb' und Scherz;

Doch schweigend blutet in verborgner Brust

Mein dunkles Herz.



Mädchenlied


Der Blumen wollt' ich warten,

Vergessend, was mein Herz erfuhr,

Doch jede Blum' im Garten

Spricht mir von Liebe nur.


Die Rose will vergluten,

Die Lilie ward vor Sehnsucht bleich,

Und die Granaten bluten

Zerspaltnen Herzen gleich.


Es weint aus hundert Sprossen

Die Rebe, die zum Stock sich zweigt,

Und Tränen, reich ergossen,

Gestehn, was sie verschweigt.


Und was ich nie zu sagen,

Was ich gewagt zu denken kaum,

Das ruft in sel'gen Klagen

Die Nachtigall vom Baum.


Sie ruft so süß verständlich,

Daß du, auch du es fassen mußt;

O komm und laß mich endlich

Ausruhn an deiner Brust!


Der Mai ist gekommen

Der Mai ist gekommen, die Bäume schlagen aus,

Da bleibe, wer Lust hat, mit Sorgen zu Haus!

Wie die Wolken wandern am himmlischen Zelt,

So steht auch mir der Sinn in die weite, weite Welt.

Herr Vater, Frau Mutter, daß Gott euch behüt!

Wer weiß, wo in der Ferne mein Glück mir noch blüht!

Es gibt so manche Straße, da nimmer ich marschiert,

Es gibt so manchen Wein, den ich nimmer noch probiert.

Frisch auf drum, frisch auf im hellen Sonnenstrahl

Wohl über die Berge, wohl durch das tiefe Tal!

Die Quellen erklingen, die Bäume rauschen all,

Mein Herz ist wie 'ne Lerche, und stimmet ein mit Schall.

Und abends im Städtlein, da kehr' ich durstig ein:

»Herr Wirt, Herr Wirt, eine Kanne blanken Wein!

Ergreife die Fiedel, du lust'ger Spielmann du,

Von meinem Schatz das Liedel, das sing' ich dazu.«

Und find' ich keine Herberg, so lieg' ich zu Nacht

Wohl unter blauem Himmel, die Sterne halten Wacht:

Im Winde die Linde, die rauscht mich ein gemach,

Es küsset in der Früh' das Morgenrot mich wach.

O Wandern, o Wandern, du freie Burschenlust!

Da wehet Gottes Odem so frisch in die Brust;

Da singet und jauchzet das Herz zum Himmelszelt:

Wie bist du doch so schön, o du weite, weite Welt!


Laß schlafen mich und träumen


Laß schlafen mich und träumen,

Was hab' ich zu versäumen

In dieser Einsamkeit!

Der Reif bedeckt den Garten,

Mein Dasein ist ein Warten

Auf Liebe nur und Lenzeszeit.


Es kommt im Frühlingsglanze

Für jede kleine Pflanze

Einmal der Blütentag.

So wird der Tag auch kommen,

Da diesem Frost entnommen

Mein Herz in Wonnen blühen mag.


Doch bis mir das gegeben,

Däucht mir nur halb mein Leben,

Und kalt wie Winters Wehn;

Trüb schauert's in den Bäumen -

O laß mich [schlafen, träumen],

Bis Liebe mich heißt auferstehn!


Gudruns Klage

Nun geht in grauer Frühe

Der scharfe Märzenwind,

Und meiner Qual und Mühe

Ein neuer Tag beginnt.

Ich wall' hinab zum Strande

Durch Reif' und Dornen hin,

Zu waschen die Gewande

Der grimmen Königin,

Das Meer ist tief und herbe,

Doch tiefer ist die Pein,

Von Freund und Heimatserbe

Allzeit geschieden sein;

Doch herber ist's, zu dienen

In fremder Mägde Schaar,

Und hat mir einst geschienen

Die güldne Kron' im Haar.

Mir ward kein guter Morgen,

Seit ich dem Feind verfiel;

Mein Speis' und Trank sind Sorgen,

Und Kummer mein Gespiel.

Doch berg' ich meine Thränen

In stolzer Einsamkeit;

Am Strand den wilden Schwänen

Allein sing' ich mein Leid.

Kein Dräuen soll mir beugen

Den hochgemuten Sinn;

Ausduldend will ich zeugen,

Von welchem Stamm ich bin.

Und so sie hold gebahren,

Wie Spinnweb acht' ich's nur;

Ich will getreu bewahren

Mein Herz und meinen Schwur.

O Ortwin, trauter Bruder,

O Herwig, Buhle werth,

Was rauscht nicht euer Ruder,

Was klingt nicht euer Schwert!

Umsonst zur Meeresküste

Hinspäh' ich jede Stund!

Doch naht sich dieser Küste

Kein Wimpel, das mir kund.

Ich weiß es: nicht vergessen

Habt ihr der armen Maid;

Doch ist nur kurz gemessen

Dem steten Gram die Zeit.

Wohl kommt ihr einst, zu sühnen;

Zu retten, ach, zu spät,

Wann schon der Sand der Dünen

Um meinen Hügel webt.

Es dröhnt mit dumpfem Schlage

Die Brandung in mein Wort;

Der Sturm zerreißt die Klage

Und trägt beschwingt sie fort.

O möcht' er brausend schweben

Und geben euch Bericht:

»Wohl lass' ich hier das Leben,

Die Treue lass' ich nicht!«


Frohe Botschaft


Nach langem, bangem Winterschweigen

Willkommen, heller Frühlingsklang!

Nun rührt der Saft sich in den Zweigen,

Und in der Seele der Gesang.


Es wandelt unter Blütenbäumen

Die Hoffnung übers grüne Feld;

Ein wundersames Zukunftsträumen

Fließt wie ein Segen durch die Welt.


So wirf denn ab, was mit Beschwerden,

O Seele, dich gefesselt hielt!

Du sollst noch wie der Vogel werden,

Der mit der Schwing' im Blauen spielt.


Der aus den kahlen Dornenhecken

Die roten Rosen blühend schafft,

Er kann und will auch dich erwecken

Aus tiefem Leid zu junger Kraft.


Und sind noch dunkel deine Pfade,

Und drückt dich schwer die eigne Schuld:

O glaube, größer ist die Gnade,

Und unergründlich ist die Huld.


Lass nur zu deines Herzens Toren

Der Pfingsten vollen Segen ein,

Getrost, und du wirst neugeboren

Aus Geist und Feuerflammen sein.



Wer recht in Freuden wandern will

Wer recht in Freuden wandern will,

der geht der Sonn entgegen.

Da ist der Wald so kirchenstill,

kein Lüftchen mag sich regen.

Noch sind nicht die Lerchen wach,

nur im hohen Gras der Bach

singt leise den Morgensegen.


Die ganze Welt ist wie ein Buch,

darin uns aufgeschrieben

in bunten Zeilen manch ein Spruch,

wie Gott uns treu geblieben;

Wald und Blumen, nah und fern,

und der helle Morgenstern

sind Zeugen von seinem Lieben.


Da zieht die Andacht wie ein Hauch

durch alle Sinnen leise;

da pocht ans herz die lieb auch

in ihrer stillen Wiese,

pocht und pocht, bis sich's erschließt

und die Lippe überfließt

von lautem, jubelndem Preise.


Und plötzlich läßt die Nachtigall

im Busch ihr Lied erklingen;

im Berg und Tal erwacht der Schall

und will sich aufwärts schwingen,

und der Morgenröte Schein

stimmt in lichter Glut mit ein:

Laßt uns dem Herrn lobsingen.



Das ist das alte Lied und Leid


Das ist das alte Lied und Leid,

daß die Erkenntnis erst gedeiht,

wenn Mut und Kraft verrauchen;

die Jugend kann, das Alter weiß;

du kaufst nur um des Lebens Preis

die Kunst, das Leben recht zu brauchen.