KASCHNITZ, Marie-Luise
Juni
Schön wie niemals sah ich jüngst die Erde.
Einer Insel gleich trieb sie im Winde.
Prangend trug sie durch den reinen Himmel
Ihrer Jugend wunderbaren Glanz.
Funkelnd lagen ihre blauen Seen,
Ihre Ströme zwischen Wiesenufern.
Rauschen ging durch ihre lichten Wälder,
Große Vögel folgten ihrem Flug.
Voll von jungen Tieren war die Erde.
Fohlen jagten auf den grellen Weiden,
Vögel reckten schreiend sich im Neste,
Gurrend rührte sich im Schilf die Brut.
Bei den roten Häusern im Holunder
Trieben Kinder lärmend ihre Kreisel.
Singend flochten sie auf gelben Wiesen
Ketten sich aus Halm und Löwenzahn.
Unaufhörlich neigten sich die grünen
Jungen Felder in des Windes Atem,
Drehten sich der Mühlen schwere Flügel,
Neigten sich die Segel auf dem Haff.
Unaufhörlich trieb die junge Erde
Durch das siebenfache Licht des Himmels.
Flüchtig nur wie einer Wolke Schatten
Lag auf ihrem Angesicht die Nacht.
Requiem
…..
Mit dem Tod muss ich umgehn
dem schwarzen Hengst,
der sprengt mit der Schulter
die sicheren Wände
…..
Bis überm Bahndamm die gefleckten Hunde
aufheulten wie ein Wurf verdammter Seelen
…..
Mit Asche bedeckten sie da
das Feuer deines Herzens,
zusehen musste ich, wie es erlosch
Funke um Funke
…..
Aber schweigen möchte ich über das
was nur uns beide anging.
Über die Namen, die wir uns gaben
täglich neue
Und wie wir beieinander ruhten ohne Furcht.
Denn du hast mich gebettet
im Schoße Geheimnis
zwischen Wände die sich auftun
unter Sterne die schwanken
…..
Gelassene Natur
Was kümmert dich, Natur,
Des Menschen Los?
Du hegst und achtest nur
Die Frucht im Schoß.
Nicht störet deine Ruh
Der Lärm der Schlacht;
Nicht weinst und wachest du
Mit dem, der wacht.
Dein Ohr vernimmt es kaum
Das bittre Weh.
Es blüht dein Blütenbaum
So schön wie je.
Manch armer Leib verwest
Lebendig tot,
Indessen du begehst
Das Abendrot.
Dir kann es gleichviel sein,
Wer wen erschlug:
Wir gehen in dich ein,
Das ist genug.
Hiroshima
Der den Tod auf Hiroshima warf
Ging ins Kloster, läutet dort die Glocken.
Der den Tod auf Hiroshima warf
Sprang vom Stuhl in die Schlinge, erwürgte sich.
Der den Tod auf Hiroshima warf
Fiel in Wahnsinn, wehrt Gespenster ab
Hunderttausend, die ihn angehen nächtlich,
Auferstandene aus Staub für ihn.
Nichts von alledem ist wahr.
Erst vor kurzem sah ich ihn
Im Garten seines Hauses vor der Stadt.
Die Hecken waren noch jung und die Rosenbüsche zierlich.
Das wächst nicht so schnell, dass sich einer verbergen könnte
Im Wald des Vergessens. Gut zu sehen war
Das nackte Vorstadthaus, die junge Frau
Die neben ihm stand im Blumenkleid
Das kleine Mädchen an ihrer Hand
Der Knabe, der auf seinem Rücken saß
Und über seinem Kopf die Peitsche schwang.
Sehr gut erkennbar war er selbst
Vierbeinig auf dem Grasplatz, das Gesicht
Verzerrt von Lachen, weil der Photograph
Hinter der Hecke stand, das Auge der Welt.
Abgesang
Fährfrau mit dem runden Hut
Hast du ihn gesehen? Ja, sagt die Fährfrau.
Hirte mit dem toten Lamm
Hast du ihn gesehen? Ja, sagt der Hirte.
Bergmann mit dem weißen Licht
Hast du ihn gesehen? Ja, sagt der Bergmann.
Welchen Weges ging er, Fährfrau?
Übers Wasser trockenen Fußes.
Welchen Weges ging er, Hirte?
Berg hinüber leichten Atems.
Welchen Weges ging er, Bergmann?
In der Erde lag er still.
Was stand auf seinem Gesicht geschrieben?
Frieden sagen alle. Frieden.
Eines Tages
Es ist kein Garten so fernab gelegen,
Dass nächtens nicht der wilde Schrei der Welt
Gleich einem wunderbaren Feuerregen
Vernichtend auch auf seine Saaten fällt.
Und keinem ist der Kreis so fest gezogen,
Dass eines Tages nicht ein wilder Geist
Ihm mit der Urgewalt der Meereswogen
Furcht und Erbarmen aus dem Herzen reißt.
Ein wölfisch Wesen springt aus Lammesmienen,
Und keiner lebt, der nicht in sich entdeckte
Ein fremdes ungeheures Element.
Und weil er lebt, muss er dem Chaos dienen
Und einem Neuen, das die Zeit erweckte,
Und dessen Sinn und Ende niemand kennt.
Nicht gesagt
Nicht gesagt
Was von der Sonne zu sagen gewesen wäre
Und vom Blitz nicht das einzige Richtige
Geschweige denn von der Liebe.
Versuche. Gesuche. Mißlungen
Ungenaue Beschreibung
Weggelassen das Morgenrot
Nicht gesprochen vom Sämann
Und nur am Rande vermerkt
Den Hahnenfuß und das Veilchen.
Euch nicht den Rücken gestärkt
Mit ewiger Seligkeit
Den Verfall nicht geleugnet
Und nicht die Verzweiflung
Den Teufel nicht an die Wand
Weil ich nicht an ihn glaube
Gott nicht gelobt
Aber wer bin ich daß
Jeder
Jeder muss einmal
Sein Vaterland besingen,
Sein Nest beschmutzen.
Auch ich.
Die Heimat, dieses kleine Stück Europa,
Wo Mädchen Soldaten nicht mehr lieben,
Wo Soldaten sich selbst nicht mehr lieben.
Wie befremdlich.
Was fällt mir ein, wenn ich Deutschland sage?
Mein Weg zur Arbeit
Durch den Park von Weimar.
Das grüne Herz.
Flieder im Belvedere.
Tiefurt. Stampfender Tanz.
Der Bauhausschüler.
Triadisches Ballett.
Was noch fällt mir ein?
Die Tiefebene sommerlich.
Und hinter den breiten Hügeln
Auftauchend Türme.
Die Weichsel bei Hochwasser.
Rasch hintreibende Dächer.
Bäume entwurzelte.
Auch der Niederrhein.
Xanten, der angetriebene Leichnam.
Der große Himmel.
Meine Heimat vor allem.
Nussbäume, Linden unterm Gewitterhimmel.
Weinfässer zum Schwefeln vor die Häuser gestellt.
Doppeladler im Wappen
Oleander.
Was außerdem?
Hakenkreuzfahnen,
Dröhnende Stiefelschritte,
Geflüstertes Grauen.
Züge entlang dem Lahnfluss voll
Nicht singender Soldaten.
Judenzüge.
Detonationen. Christbäume sogenannte.
Asche zu Asche.
Dann alles wieder neu
Aus dem Boden gezogen.
Hochhäuser, Hochöfen, Hochstädte, Autobahnen.
Ferien im Ausland. Alte Kameraden.
Weihestimmung im Bachverein.
Und doch, mein Jahrhundert vorüber,
Wird mit Stacheldrahtzäunen
Niemand mehr Geld verdienen.
Diesseits und jenseits der Grenzen
Bedeuten Worte dasselbe
Vaterländer und die alten
Schuldgefühle haben ausgespielt.
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Was ist es, das an diesen Ort mich bannte
Und immer neu das Bild mich deuten ließ,
Da ich die Absicht nimmermehr erkannte,
Die solche Fülle schuf und leben ließ?
Ein Spiel der Schöpferkraft nur muss ich wähnen,
Ungleich gemischt aus Heiterkeit und Tränen,
So dünkt mich Schein und Finsternis verwirrend
Auch auf der Erde Angesicht gelegt
Und Menschen seh ich durch die Zeiten irrend
Von jedem Hauch getragen und bewegt.
Und doch erkenn ich Tag um Tag genauer:
Es wiegt die Freude schwerer als die Trauer.